Ein schlafendes Ostrava, eine Planstadt und die Kalte-Küche wird zum Standard


  1. Tag: Sonntag, 24. September 2023

Strecke: Nová Horka – Ostrava – Havířov – Soběšovice

Streckenlänge: 55 km (425 km)

Die Hähne der umliegenden Gärten begrüßen den Morgen und der Instant-Kaffee kocht vor der verlassenen Sportkantine. Die ehemalige Kohle-Stadt Ostrava ist nicht weit entfernt. Ein gesperrter Radweg sorgt erneut für Umwege ins Stadtzentrum. Die drittgrößte tschechische Stadt wirkt auf den schnellen Blick sehr zerrissen und hat ihren Ost-Flair noch nicht ganz abgelegt. Ostrava schläft sich noch aus. Am leeren Marktplatz treten Kinder den Fußball und ein Wirtshaus spendet Strom aus der Dose für die saftlosen Mobilgeräte. Am Weg zum nächsten Campingdomizil liegt die Planstadt Havířov. Die mit herausgeputzten Arbeiter_innen-Quartiere gesäumte Hauptstraße erinnert an das Ostdeutsche Eisenhüttenstadt. Ohne weitere Aufregungen rollen die Räder nach Soběšovice. Am Stausee Žermanice wird Haus gebaut und die Kalte-Küche wird zum Standard. Niemand da, nur einige Fischer werfen ihre Schnüre aus.

Ein krimineller Spurwechsel, weiter Verirrungen und ein Sportplatz für die Nacht


  1. Tag: Samstag, 23. September 2023

Strecke: Olmütz – Přerov – Hranice na Moravě – Špičky – Kunín – Nová Horka

Streckenlänge: 95 km (370 km)

Ein Spurwechsel steht zu Tagesbeginn auf dem Programm, von der EuroVelo 9 auf die EuroVelo 4. Eine stressfreie Radüberführung scheitert bereits nach der Olmütz-Ortsende-Tafel: Eine Fahrrad-Verbotstafel verstellt den Weg. Aus Mangel an brauchbaren Alternativen wird das Schild ignoriert und es folgen 24 aufreibende Kilometer auf einer stark befahrenen Bundesstraße. Als Draufgabe brechen die Wolken. In Přerov gibt es die herbeigesehnte Entwarnung. An der Bečva, einem Zufluss der Mach gelingt auch der Einstieg in den Radweg. Auf verschlungenen Wegen führt er, den Fluss zur Linken, bei Dauerregen bis nach Hranice. Hier verlieren sich auch die Wegweiser, mit Schweiß und Muskelkraft werden hügelige Umfahrungen bewältigt und auch der Wiedereinstig in die Route gelingt. Die letzten ruhigen Kilometer werden von Rehen beäugt und ein Sportplatz wird zum Zeltplatz. Hinter der Kantine wird aufgebaut. Aus Ermangelung an Wirtshäusern gibt es Kalte-Küche auf einer der zahlreichen Kantinenbänke. Verstohlene Blicke mustern den unangekündigten Besucher mit seinem Mikro-Fahrrad. Es wartet eine ruhige Nacht nach einem harten Arbeitstag.

Ein Katzensprung, Radwegweiser und eine nach außen glänzende Schatulle


  1. Tag: Freitag, 22. September 2023

Strecke: Plumlov – Olmütz

Streckenlänge: 34 km

Der Morgen wird vertrödelt, heute wartet nur ein Katzensprung. Rauf auf den EuroVelo 9 und gemächlich auf autofreien Wegen Richtung Olmütz. Erst kurz vor dem Ziel verschwinden wieder einmal die Wegweiser.
Im Normalfall bestens markiert haben auch die (inter)nationalen Routen ihre Tücken. Meistens mit Nummern versehen, oder als Themen-Routen ausgeschildert lassen sie keinen Spielraum für Eigensinn. Wer nicht der vorgeschriebenen Richtung oder irgendeinem Themen-Radweg nachradelt muss immer wieder improvisieren. Einmal aus der Spur, oder ein Wechsel von einer Route auf die andere und es wird zur Zitterpartie. Die Beschriftungstafeln haben noch Luft nach oben, Ortswegweiser mit Kilometerangaben wie beim motorisierten Vierrad und Verbindungsschilder zwischen den Routen wären zu begrüßen!
In Ölmütz sorgt die Morawa (March) auf ihrem Weg in den Schdrom für Heimatgefühle. Die Innenstadt ist auf Hochglanz poliert, alle Spuren der realsozialistischen Vergangenheit sind sorgsam weggewaschen worden. Marktplatz, Pestsäule, ungezählte barocke Brunnen, das Rathaus mit seiner astronomischen Uhr – alles wie aus dem Schachterl. Ein Stadtrundgang relativiert das perfekte Szenarium. Auffallend vielen Menschen fällt es schwer in dieser barocken Schatulle ihren Platz zu finden.
Zur Abrundung noch ein paar Schmankerln aus der Historie: Der erst elfjährige Mozart komponierte hier seine 6. Sinfonie. Gustav Mahler machte in Olomouc den Kapellmeister. Und Feldmarschall Graf Radetzky ließ seinen militärischen Zöglingen den Marsch blasen.
Abschließend noch eine Gaumenfreude: Die Spezialität der Stadt ist der Olmützer Quargel, ein Sauermilchkäse mit strengem Geruch!

Unachtsamkeiten, Bergwelten und ein Mobilhaus am Schloss


  1. Tag: Donnerstag, 21. September 2023

Strecke: Brünn – Bílovice nad Svitavou – Křtiny – Jedovnice – Repechy – Hamry – Plumlov

Streckenlänge: 62 km (241 km)

Luft, Luft! Eine Nacht im Bunker reicht für’s ganze Leben. Nach einem Bunker-Frühstück (Aufstriche, Brot, Löskaffee) gibt es zum Abschied noch eine tschechische Jause (Pivo). Die Liebste steigt in den Zug nach Wien und die Spur wird wieder aufgenommen. Runter zum Fluss. Die Svitava fließt von Nord nach Süd durch Brünn, abseits vom Zentrum, still und heimlich. Eine wunderbare Orientierung zum Wiedereinstieg in den Radwegirrgarten. Einmal falsch abgebogen und weg ist die nummerierte Radroute. Umkehren? Niemals! Immer vorwärts. Zur Strafe für die Unaufmerksamkeit geht es durch das Drahaner Bergland, schweißtreibend führt die Straße nach Jedovnice. Eine Polizeistraßensperre verkompliziert die Situation. Die Umfahrung führt über einen steinigen Feldweg. Glück im Unglück, das Ende der Rumpelpiste mündet in der ausgeschilderten Radroute. Der Rest des Wegs gleitet einsam durch ein ausgedehntes Waldstück der Bünner Bergwelten, immer zart bergab, bis zur heutigen Bettenstation in Plumlov. Direkt an einem Stausee, das Schloss Plumlov in Greifweite.

Erstes Etappenziel, die Liebste zu Besuch und eine Nacht im Bunker


  1. Tag: Mittwoch, 20. September 2023

Strecke: Brod nad Dyje – Drnholec – Pasohlávky – Ivaň – Židlochovice – Brünn

Streckenlänge: 52 km

Kurz hinter Brod nad Dyje verbreitert sich die Thaya zu einem See und eine Brücke führt ans andere Ufer. Nur wird die Brücke gerade neu aufgesetzt und das ergibt eine Fleißaufgabe von rund 10 Kilometern zusätzlich.
Auf der Strandpromenade von Pasohlávky bewachen unzählige Fischer ihre Schnüre im Wasser und hoffen auf den fetten Fang. Auch in Südmähren beherrscht die Weinrebe das Landschaftsbild in der Bier-Nation Tschechien.
Der „EuroVelo 9“ begleitet den gesamten Streckenverlauf und bereits um die Mittagszeit beginnt der Zieleinlauf nach Brünn. Heute kommt die Liebste zu Besuch, was auf dem Rad, mit Muskelkraft, knappe drei Tage dauert, schafft die ÖBB schweißfrei in eineinhalb Stunden.
Der erste Etappenendpunkt (Brünner Straße – Brünn) ist erreicht. Das Zentrum der zweitgrößten tschechischen Stadt gleicht einem Rummelplatz. Am Marktplatz wird ein Oktoberfest gefeiert, der Freiheitsplatz gleicht einer Genussmeile und am Mährischen Platz faulenzen Einwohner_innen neben Tourist_innen in Liegestühlen. Einen wunderbaren Ausblick über die Stadt bietet die Špilberk-Festung. Direkt unter dem Špilberk-Park, gräbt sich ein Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg unter die Erde, heute ein Museum und gleichzeitig ein erschwingliches Hostel. Harte Betten und eine gruselige Stimmung begleiten durch die Nacht!

Schneewittchen, ein Schmuckkasterl und eine Kurzstrecke auf Umwegen


  1. Tag: Dienstag, 19. September 2023

Strecke: Poysdorf – Poysbrunn – Drasenhofen – Mikulov – Brod nad Dyje

Streckenlänge: 45 km

Der in den Morgenstunden einsetzende Regen verzögert die Abreise. Die Zeltwände haben bei der nächsten Station noch genug Zeit aufzutrocknen.
Spätestens ab Poysdorf regiert der Wein das Landschaftsbild. Eine immer wiederkehrende Hürde ist die Frage Radwege versus Bundesstraßen. Erstere zeigen sehr viel Gegend und erhöhen die Kilometerleistung, zweitere führen direttissima zum Ziel, dafür quält der motorisierte Verkehr. Eine Kombination von beiden Varianten sorgt ab und zu für Missverständnisse und so rollen die Räder ungewollt durch das Märchendorf Poysbrunn. Am Straßenrand sorgen Zwerge und das Schneewittchen für Stirnrunzeln. Zurück auf die Hauptroute begleitet der Schwerverkehr in Richtung Grenzübergang Drasenhofen. Der ehemalige Eiserne Vorhang wird durchschnitten und es wartet das Schmuckkasterl Mikulov. Die südmährische Stadt liegt unmittelbar an der Grenze, kann mit einem Schloss, einer ansehnlichen Altstadt und einem heiligen Berg samt Kreuzweg auftrumpfen. Am Stadtplatz versammeln sich Horden von E-Biker_innen und laben ihre Akkus mit tschechischem Bier.
Die Verpflegungsstationen häufen sich und so verkommt der Tag zu einer ungeplanten Kurzstrecke. Auf Umwegen, ein kleines Stück den Iron Curtain Train entlang, danach auf Landstraßen durch die Dörfer, führt die Reise nach Brod nad Dyje. Das Zelt darf auftrocknen, Rad und Fahrer werden gepflegt.

Von der Krakauer Straße nach Krakau


  1. Tag: Montag, 18. September 2023

Strecke: 1020 Wien, Krakauer Straße – 1210, Wien Brünner Straße – Wolkersdorf – Mistelbach – Poysdorf

Streckenlänge: 82 km

Die Auftakttour zu einer neuen Serie. Straßen und Plätze der Wiener-Stadt schmücken sich mit Namen von mehr oder weniger entfernten Sehnsuchtsorten. Der 10. Bezirk beherbergt beispielsweise einen Belgradplatz, im 2. Bezirk, im Nordbahnviertel, gibt es eine Krakauer Straße und in Floridsdorf führt die Brünner Straße raus aus der Stadt in Richtung Weinviertel.
Als Schuhlöffel ins neue Projekt empfiehlt sich das polnische Krakau, auf größtenteils Radwegen rund 700 Kilometer weit entfernt. Die Etappe „Brünner Straße – Brünn“ liegt praktisch am Weg und wird freudig mit eingepackt.
Vom Nordbahnviertel über den Schdrom und rauf auf die elendslange „Brünner“. Mit der Ortsende-Wien-Tafel entspannt sich das bis dahin geballte Verkehrsaufkommen und ein Radweg abseits vom Blech führt entspannt nach Wolkersdorf, dem selbsternannten „Tor zum Weinviertel“.
Das Bild am Weg wird von Feldern dominiert. Anders als es die Region im Namen verspricht, sind es nicht die Weinreben die ins Auge stechen und den Durst anstacheln. Es ist der Kukuruz der im Wind raschelt und die Sonnenblumen, die ihre Strahlkraft inzwischen eingebüßt haben und mit hängenden Köpfen Trübsal blasen. Die höchsten Erhebungen der Gegend sind die zahlreich verstreuten Windräder die den aufkommenden Wind begrüßen.
Die in Corona-Zeiten eingebüßte Muskelmasse macht die vermeintliche Aufwärmrunde zur Strapaze. Nach einigen Einkehrschwüngen haben die Mühen in Poysdorf ihr Ende. Das Mobilhaus steht an einem Badeteich und die nah gelegene Kellergasse sorgt mit einer deftigen Hauerplatte und den dazugehörigen Erfrischungsgetränken für ausreichend Erleichterung!

Stadflanerie, ein Spitzenwert und eine Zusammenfassung


  1. Tag: Samstag, 22. Juli 2023

Strecke: Zagreb – Lepoglava (HR) – Gornja Radgona (SLO) – Bad Radkersburg (A) – Wien

Streckenlänge: 355 km (gesamt 10.006 km)

Letzte Tage haben etwas Wehmütiges, ein Spaziergang durch Zagreb soll das Unvermeidliche noch einmal verzögern. Viele Ecken der Hauptstadt erinnern an das monarchische Wien, das Schöne an Zagreb, es ist noch nicht ganz so kaputt renoviert. Die Ilica ist gleichzeitig Flaniermeile und längste Straße des Landes, am Ban-Jelačić-Platz wird die Folklore hochgehalten, die Kathedrale der Stadt versteckt sich hinter einem fetten Gerüst und am Hauptmarkt treten sich Tourist_innen und Einheimische gegenseitig auf die Zehen.
Eine letzte Mahlzeit, ein letzter Schluck, ein weiteres Unwetter, zwei weitere Grenzüberschreitungen, …, kurz vor Wien wird noch ein Spitzenwert überschritten, in Worten: „Zehntausend“ gefahrene Kilometer!!!

Zum Abschied eine Zusammenfassung:

Reisetage: 32
Länder: Österreich, Ungarn, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Georgien, Armenien, Griechenland, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Slowenien
Gefahrene Kilometer: 10.006
Übernachtungen: 18 Zeltnächte, 14 Nächte im gemachten Bett

Vielen Dank für’s Lesen, Mitreisen, Mitfiebern … Im September/Oktober startet die nächste Ausfahrt, dann wieder mit dem Bobo-Porsche, dem Brompton-Faltrad!
Alles Liebe & Dank
Mario & Justine

Morgenstunden, die letzte Nacht und eine liebe Familie


  1. Tag: Freitag, 21. Juli 2023

Strecke: Bosanska Krupa – Novi Grad – Kostajnica (BiH) – Hrvatska Kostajnica (HR) – Zagreb

Streckenlänge: 158 km (gesamt 9.651 km)

Die Morgenstunden, wenn die großen Campingriesen noch schlafen, wenn Fluss und Kaffee dampfen, sind die Schönsten.
Das zu Hause nähert sich in schnellen Schritten, noch ein Stück die Una entlang, ein weiterer Grenzübertritt und schon bald wartet die kroatische Hauptstadt und ganz liebe Freund_innen. Der Nachmittag/Abend wird verprasst mit Speis und Trank und ganz viel Plauderei – Hvala lijepa!

Srpska, Föderation und ein Traum von Una


  1. Tag: Donnerstag, 20. Juli 2023

Strecke: Banja Luka – Novi Grad – Bosanska – Bosanska Otoka – Bosanska Krupa

Streckenlänge: 138 km (gesamt 9.493 km)

Banja Luka liegt an beiden Ufern des Vrbas und ist Regierungssitz der Republika Srpska. Eine quirlige Stadt, Cafés drängen sich aneinander, eine Markthalle im Umbau zeigt eine Mischung aus Schutt und Konsum, prunkvolle Prestigegebäude, daneben in den Seitengassen erlischt der Glanz. Das Glände der Festung Kastel rüstet sich gerade für das „DemoFest“, unter anderen werden die slowenischen Provokateure von Laibach für Aufregung sorgen.
Seit verlassen der Drina hat die Lieblichkeit der Umgebung dramatisch abgenommen: Verhüttelte Straßenränder, Industrie, lästiger Straßenverkehr. Immer wieder werden die innerbosnischen Grenzen überrollt, von der Republika Srpska in die Föderation und zurück. Flaggen, Bethäuser und Schriftbuchstaben lassen den jeweiligen Verbleib erraten. Bei Novi Grad, am Zusammenfluss von Sana und Una, nahe der kroatischen Grenze, ändert sich das Landschaftsbild. Ab sofort bestimmt die Una das Geschehen, teils verästelt, mit kleinen Wasserfällen, immer glasklar, türkis schimmernd. Ein Traum von einem Fluss. Am Una-Ufer ist auch Endstation.
Das zu Hause ist schon beängstigend nahe und schleicht sich immer wieder in die Gedanken. Einmal noch erfrischen, einmal noch waschen, einmal noch eintauchen!