Schneewittchen, ein Schmuckkasterl und eine Kurzstrecke auf Umwegen


  1. Tag: Dienstag, 19. September 2023

Strecke: Poysdorf – Poysbrunn – Drasenhofen – Mikulov – Brod nad Dyje

Streckenlänge: 45 km

Der in den Morgenstunden einsetzende Regen verzögert die Abreise. Die Zeltwände haben bei der nächsten Station noch genug Zeit aufzutrocknen.
Spätestens ab Poysdorf regiert der Wein das Landschaftsbild. Eine immer wiederkehrende Hürde ist die Frage Radwege versus Bundesstraßen. Erstere zeigen sehr viel Gegend und erhöhen die Kilometerleistung, zweitere führen direttissima zum Ziel, dafür quält der motorisierte Verkehr. Eine Kombination von beiden Varianten sorgt ab und zu für Missverständnisse und so rollen die Räder ungewollt durch das Märchendorf Poysbrunn. Am Straßenrand sorgen Zwerge und das Schneewittchen für Stirnrunzeln. Zurück auf die Hauptroute begleitet der Schwerverkehr in Richtung Grenzübergang Drasenhofen. Der ehemalige Eiserne Vorhang wird durchschnitten und es wartet das Schmuckkasterl Mikulov. Die südmährische Stadt liegt unmittelbar an der Grenze, kann mit einem Schloss, einer ansehnlichen Altstadt und einem heiligen Berg samt Kreuzweg auftrumpfen. Am Stadtplatz versammeln sich Horden von E-Biker_innen und laben ihre Akkus mit tschechischem Bier.
Die Verpflegungsstationen häufen sich und so verkommt der Tag zu einer ungeplanten Kurzstrecke. Auf Umwegen, ein kleines Stück den Iron Curtain Train entlang, danach auf Landstraßen durch die Dörfer, führt die Reise nach Brod nad Dyje. Das Zelt darf auftrocknen, Rad und Fahrer werden gepflegt.

Von der Krakauer Straße nach Krakau


  1. Tag: Montag, 18. September 2023

Strecke: 1020 Wien, Krakauer Straße – 1210, Wien Brünner Straße – Wolkersdorf – Mistelbach – Poysdorf

Streckenlänge: 82 km

Die Auftakttour zu einer neuen Serie. Straßen und Plätze der Wiener-Stadt schmücken sich mit Namen von mehr oder weniger entfernten Sehnsuchtsorten. Der 10. Bezirk beherbergt beispielsweise einen Belgradplatz, im 2. Bezirk, im Nordbahnviertel, gibt es eine Krakauer Straße und in Floridsdorf führt die Brünner Straße raus aus der Stadt in Richtung Weinviertel.
Als Schuhlöffel ins neue Projekt empfiehlt sich das polnische Krakau, auf größtenteils Radwegen rund 700 Kilometer weit entfernt. Die Etappe „Brünner Straße – Brünn“ liegt praktisch am Weg und wird freudig mit eingepackt.
Vom Nordbahnviertel über den Schdrom und rauf auf die elendslange „Brünner“. Mit der Ortsende-Wien-Tafel entspannt sich das bis dahin geballte Verkehrsaufkommen und ein Radweg abseits vom Blech führt entspannt nach Wolkersdorf, dem selbsternannten „Tor zum Weinviertel“.
Das Bild am Weg wird von Feldern dominiert. Anders als es die Region im Namen verspricht, sind es nicht die Weinreben die ins Auge stechen und den Durst anstacheln. Es ist der Kukuruz der im Wind raschelt und die Sonnenblumen, die ihre Strahlkraft inzwischen eingebüßt haben und mit hängenden Köpfen Trübsal blasen. Die höchsten Erhebungen der Gegend sind die zahlreich verstreuten Windräder die den aufkommenden Wind begrüßen.
Die in Corona-Zeiten eingebüßte Muskelmasse macht die vermeintliche Aufwärmrunde zur Strapaze. Nach einigen Einkehrschwüngen haben die Mühen in Poysdorf ihr Ende. Das Mobilhaus steht an einem Badeteich und die nah gelegene Kellergasse sorgt mit einer deftigen Hauerplatte und den dazugehörigen Erfrischungsgetränken für ausreichend Erleichterung!

Stadflanerie, ein Spitzenwert und eine Zusammenfassung


  1. Tag: Samstag, 22. Juli 2023

Strecke: Zagreb – Lepoglava (HR) – Gornja Radgona (SLO) – Bad Radkersburg (A) – Wien

Streckenlänge: 355 km (gesamt 10.006 km)

Letzte Tage haben etwas Wehmütiges, ein Spaziergang durch Zagreb soll das Unvermeidliche noch einmal verzögern. Viele Ecken der Hauptstadt erinnern an das monarchische Wien, das Schöne an Zagreb, es ist noch nicht ganz so kaputt renoviert. Die Ilica ist gleichzeitig Flaniermeile und längste Straße des Landes, am Ban-Jelačić-Platz wird die Folklore hochgehalten, die Kathedrale der Stadt versteckt sich hinter einem fetten Gerüst und am Hauptmarkt treten sich Tourist_innen und Einheimische gegenseitig auf die Zehen.
Eine letzte Mahlzeit, ein letzter Schluck, ein weiteres Unwetter, zwei weitere Grenzüberschreitungen, …, kurz vor Wien wird noch ein Spitzenwert überschritten, in Worten: „Zehntausend“ gefahrene Kilometer!!!

Zum Abschied eine Zusammenfassung:

Reisetage: 32
Länder: Österreich, Ungarn, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Georgien, Armenien, Griechenland, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Slowenien
Gefahrene Kilometer: 10.006
Übernachtungen: 18 Zeltnächte, 14 Nächte im gemachten Bett

Vielen Dank für’s Lesen, Mitreisen, Mitfiebern … Im September/Oktober startet die nächste Ausfahrt, dann wieder mit dem Bobo-Porsche, dem Brompton-Faltrad!
Alles Liebe & Dank
Mario & Justine

Morgenstunden, die letzte Nacht und eine liebe Familie


  1. Tag: Freitag, 21. Juli 2023

Strecke: Bosanska Krupa – Novi Grad – Kostajnica (BiH) – Hrvatska Kostajnica (HR) – Zagreb

Streckenlänge: 158 km (gesamt 9.651 km)

Die Morgenstunden, wenn die großen Campingriesen noch schlafen, wenn Fluss und Kaffee dampfen, sind die Schönsten.
Das zu Hause nähert sich in schnellen Schritten, noch ein Stück die Una entlang, ein weiterer Grenzübertritt und schon bald wartet die kroatische Hauptstadt und ganz liebe Freund_innen. Der Nachmittag/Abend wird verprasst mit Speis und Trank und ganz viel Plauderei – Hvala lijepa!

Srpska, Föderation und ein Traum von Una


  1. Tag: Donnerstag, 20. Juli 2023

Strecke: Banja Luka – Novi Grad – Bosanska – Bosanska Otoka – Bosanska Krupa

Streckenlänge: 138 km (gesamt 9.493 km)

Banja Luka liegt an beiden Ufern des Vrbas und ist Regierungssitz der Republika Srpska. Eine quirlige Stadt, Cafés drängen sich aneinander, eine Markthalle im Umbau zeigt eine Mischung aus Schutt und Konsum, prunkvolle Prestigegebäude, daneben in den Seitengassen erlischt der Glanz. Das Glände der Festung Kastel rüstet sich gerade für das „DemoFest“, unter anderen werden die slowenischen Provokateure von Laibach für Aufregung sorgen.
Seit verlassen der Drina hat die Lieblichkeit der Umgebung dramatisch abgenommen: Verhüttelte Straßenränder, Industrie, lästiger Straßenverkehr. Immer wieder werden die innerbosnischen Grenzen überrollt, von der Republika Srpska in die Föderation und zurück. Flaggen, Bethäuser und Schriftbuchstaben lassen den jeweiligen Verbleib erraten. Bei Novi Grad, am Zusammenfluss von Sana und Una, nahe der kroatischen Grenze, ändert sich das Landschaftsbild. Ab sofort bestimmt die Una das Geschehen, teils verästelt, mit kleinen Wasserfällen, immer glasklar, türkis schimmernd. Ein Traum von einem Fluss. Am Una-Ufer ist auch Endstation.
Das zu Hause ist schon beängstigend nahe und schleicht sich immer wieder in die Gedanken. Einmal noch erfrischen, einmal noch waschen, einmal noch eintauchen!

Routenplanung, Flussfunktionen und ein Besuch im Nirvana


  1. Tag: Mittwoch, 19. Juli 2023

Strecke: Vrhpolje – Mali Zvornik (SRB) – Tuzla (BiH) – Doboj – Banja Luka

Streckenlänge: 362 km (gesamt 9.355 km)

Bis zur bosnischen Grenze bei Mali Zvornik bleibt die Drina eine treue Wegbegleiterin. Nach einer weiteren Überquerung trennen sich die Wege.
Eine Stadtflanerie durch die hügelige Kantonhauptstadt Tuzla bringt den Bewegungsapparat wieder in Schwung. Tuzla erlangte während des Bosnienkrieges traurige Berühmtheit über die heimischen Nachrichten. Ihr einstiger Glanz blitzt immer wieder zart auf, doch auch die Verletzungen lassen sich nicht verbergen.
Ab sofort bestimmen Schlafplätze die Heimreiseroute. Die einzige Anforderung ist ein Flusszugang. Seit einigen Tagen haben Flüsse neben der Erfrischungs- auch die Hygienefunktion übernommen. Der Weg führt ins Nirvana, so auch der Name eines vielversprechend klingenden Campingplatzes. Dragan der Betreiber hat sich seine eigene kleine Welt im Nirgendwo am Fluss Bosna gezimmert. Sehr kreativ, aber letztendlich doch zu einschichtig. Ohne vorheriger Konsumation eines Erfrischungsgetränks und einem abschließenden Kaffee gibt es bei Dragan kein Entkommen, Gastfreundschaft in Großbuchstaben. Die nächste sich bietende Schlaf- und Reinigungsstation liegt am Stadtrand von Banja Luka an der Vrbas. Das Haus steht rechtzeitig vor den hereinbrechenden Sturmböen, nur das Donnerwetter wartet noch bis in die Nachtstunden.

Eine Brücke, eine Zirkus-Stadt und immer die Drina


  1. Tag: Dienstag, 18. Juli 2023

Strecke: Foča – Goražde – Višegrad (BiH) – Mokra Gora (SRB) – Bajina Bašta – Vrhpolje

Streckenlänge: 176 km (gesamt 8.993 km)

Die Drina bleibt den ganzen Tag eine treue Begleiterin. Innerhalb Bosniens werden Grenzen überschritten ohne einen Pass vorzuweisen. Die Grenzen zwischen der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska verschwimmen und werden mehrmals überschritten. Goražde liegt in der Föderation, Višegrad in der Republika. Die Wunden des Bosnienkrieges klaffen bis heute, hier moslimische Bosniaken, dort bosniakische Serben und alle schwimmen im kühlen Nass der Drina. In Višegrad spannt sich die Mehmed-Paša-Sokolović-Brücke über den Fluss, Weltkulturerbe und berühmt durch den Ivo Andrić Roman „Die Brücke über die Drina“. Seit einigen Jahren ist die Stadt um eine Attraktion reicher. „Andrićgrad“, Andrić-Stadt, eine künstliche Planstadt, die sich der Regisseur Emir Kusturica aus dem Gedächtnis geschnitzt hat. Ein „Zirkus-Stadtteil“ der die Geschichte der Region sehr frei interpretiert. Nach diesem Kuriosum verabschiedet sich die Drina kurzzeitig und es wartet der nächste, diesmal ein gewöhnlicher, Grenzübergang mit Gesichtskontrolle. In Serbien spendet der Tara-Nationalpark traumhafte Aussichten und ab Bajina Bašta ist er wieder zurück, der Fluss. Ab jetzt weicht er nicht mehr von der Seite.
Das Haus steht diesmal auf einem Autoabstellplatz umzingelt vom Mais. Der Parkplatz gehört einem, an Romantik nicht zu überbietenden, Wirtshaus direkt über der Drina. Es folgt das Standard-Programm: Erfrischungsgetränk, Abkühlung und als Krönung ein deftig serbisches Abendmahl.

Heimreisemodus, Panoramastraße und ein Temperatursturz


  1. Tag: Montag, 17. Juli 2023

Strecke: Shkodrasee (AL) – Podgorica (MNE) – Nikšić – Foča (BiH)

Streckenlänge: 219 km (gesamt 8.817 km)

Der Heimreisemodus lässt sich nicht mehr anhalten. Raus aus dem Hitzekessel Shkodrasee, rauf auf die Transitroute. Nach einem weiteren Grenzwechsel führt ab Podgoriza die „Panorama Straße 1“ von Süd nach Nord durch ganz Montenegro. Vorbei an der Bierstadt Nikšić, über Hochebenen, vorbei am Pivsko Stausee, an den Rändern des Dumitor Nationalparks entlang, weiter durch die Piva Schlucht bis zum nächsten Grenzbalken in die Republika Srpska. Als Teil von Bosnien und Herzegowina, entstanden in Folge des Bosnienkrieges, wird die Republika Srpska heute hauptsächlich von bosnischen Serb_innen bewohnt.
An der montengrinisch-bosnischen Grenze treffen sich die Flüsse Piva und Tara und vereinigen sich unter dem Namen Drina. Eine schmale Rumpelstraße schlängelt sich entlang der Drina runter ins Tal. Nahe Foča wird das Haus gebaut und das Eintauchen in der Drina sorgt für einen glasklar erfrischenden Temperatursturz um die 25 Grad!

Kara Ben Nemsi, Statussymbole und ein Hitzestau


  1. Tag: Sonntag, 16. Juli 2023

Strecke: Radožda (NMK) – Elbasn (AL) – Tirana – Shkodra

Streckenlänge: 231 km (gesamt 8.598 km)

Die wunderbare Ohrid-Forelle schwimmt noch immer im Baucherl, gemeinsam mit gleichfalls wunderbarem Wein und einem Rakia zum drüberstreuen.
Nach einer neuerlichen Süßwassererfrischung und einem weiteren Grenzübertritt rollen die Räder durchs Land der Skipetaren. Wie einst Kara Ben Nemsi, nur nicht im Kopf, sondern in Echtzeit.
In Albanien wird eine Monoreligion gelebt: Das Automobil! „Lavash, Lavash!“ Alle fünfhundert Meter bietet sich die Möglichkeit, sein Fahrzeug vom Staub zu befreien. Autowaschen ist die Lieblingsfreizeitbeschäftgung der Albaner. Noch immer schlagen die meisten Herzen für einen Mercedes Benz, Albanien ist das Land mit der höchsten Mercedes-Dichte. Aber der Stern hat mit den Jahren an Glanz verloren, konkurrierenden Angeberkarossen wie Audi, BMW oder Porsche, kleben dem Marktführer dicht am Auspuff.
Inzwischen ist die 40 Gradmarke überschritten und selbst ein Bad im Skodrasee kann nicht mehr erfrischen. Ziege, ein traditionell albanisches Gericht verabschiedet, gemeinsam mit zwei norwegischen Motorrad-Reisebekanntschaften, den Abend.

Bärenschleichwege, ein bedrohter Fisch und Süß- statt Salzwasser


  1. Tag: Samstag, 15. Juli 2023

Strecke: Asprovalta – Thessaloniki (GR) – Bitola (NMK) – Ohrid – Struga – Radožda

Streckenlänge: 417 km (gesamt 8.367 km)

Zwei volle Tage Meer und Sand reichen vollkommen aus, das Salzwasser muss dem Süßwasser weichen. Über Thessaloniki geht es Richtung Norden in die makedonischen Berge. Tafeln warnen vor Bären, die hier ihre Schleichwege haben. Es folgt ein weiterer Grenzübertritt in die noch junge Republik Nordmazedonien, gegründet 1991 nach dem Zerfall Jugoslawiens. In Ohrid am gleichnamigen See steigt der Fuß vom Gaspedal. In einem Lokal an der Strandpromenade tobt gerade ein pompöser Kindergeburtstag. Alle rausgeputzt, die noch ganz Kleinen, wie auch die Großen. Der Ohridsee ist der älteste, noch existierende See Europas, Weltkulturerbe und liegt auf 695 Metern über dem Meer. Der Star des Gewässers ist die Ohridforelle, gilt aber wegen der starken Überfischung als bedroht. Inzwischen wird die wohlschmeckende Speiseforelle gezüchtet.
Ein paar Ortschaften weiter findet sich ein Traumplatzerl. Haus und Automobil stehen zwei Mal umfallen entfernt vom kühlen Nass. Wiese statt Sand und süß statt salzig – beides probiert kein Vergleich!