Schlechtes Omen, Kulturraub und schon wieder waschelnass


18. Tag: Freitag, 30. Juni

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Strecke: Wismar – Lübeck – Groß Sarau – Ratzenburg – Römnitz

Streckenlänge: 119 km

Der Himmel hat sich immer noch nicht beruhigt. Die „Pension am Wasserturm“, mein Bettgeber der letzten Nacht, war vielleicht ein schlechtes Omen. Dauerregen! In Berlin stehen die U-Bahn-Stationen unter Wasser und in Tegel lernen die Flugzeuge schwimmen. Wetterbesserung ist nicht in Sicht, alles rinnt! Ostsee Adieu. Die Strecke Wismar – Lübeck bin ich schon getreten, darum nehme ich den Zug. Lübeck, Weltkulturerbe hin oder her, ist nicht mein Fall und schon gar nicht will ich über 60 Euro für ein Bett berappen. Und warum werden in der Wessi-Stadt Lübeck die Fußgänger-Ampeln mit Ampelmännchen geregelt – eindeutig ein Kulturdiebstahl. Ich will weiter. Die Regenhaut aus den 70ern ist eigentlich mehr Zierde als Schutz und so komme ich wieder einmal waschelnass ans Tagesziel, Römnitz am Ratzeburger See. Bei strömenden Regen wird das Zelt aufgebaut und die einzige glückliche Fügung des heutigen Tages, es gibt ein Wirtshaus nebenan. Das Lied zum Tag: Rudi Carell (wer ihn noch kennt) mit „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“. So, ich mach jetzt das Licht aus, der/die Letzte dreht das Wasser ab.

Lebensbeichte, Unwetter und kein Fischbrötchen mehr


17. Tag: Donnerstag, 29. Juni

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Strecke: Dierhagen – Ostseebad Warnemünde – Ostseebad Kühlungsborn – Wismar

Streckenlänge: 91 km

Über die Nacht kam der Regen, früh morgens hängt noch eine dicke Wolkenschicht über dem Dünencamp. Camper sind eine eigene Spezies, manche bringen sogar ihre eigenen Blumenvorgärten mit, gießen müssen sie heute nicht.
Um es gleich vorwegzunehmen, das heutige Tagesziel wird trotz widriger Umstände erreicht. Unter einem Himmel voller Wolken geht es immer dicht am Wasser entlang. Unterwegs reiße ich einen neuen Begleiter auf, Frank aus Hessen. Frank ist seit sieben Jahren trocken, das Radfahren hat ihm geholfen von der Droge Alkohol wegzukommen. Seit drei Wochen ist er bereits unterwegs, mit offenem Zeitbudget. Eineinhalb Stunden treten wir gemeinsam durch den Wald, in Warnemünde, eine Lebensgeschichte weiter, trennen sich unsere Wege. Der Himmel grollt bedrohlich. Zwischen Warmemünde und dem Ostseebad Kühlungsborn stehen die letzten zwei noch erhalten gebliebenen DDR-Grenzwachtürme. Dann platzt der Himmel, es schüttet wie aus Kübeln. „Molli“ die Bäderbahn bringt mich nicht ins Trockene, aber Richtung Etappenziel. Einmal umsteigen und Wismar heißt der heutige Hafen. Ein paar Knöpfe gedrückt und ein Zimmer ist gebucht, wie war das früher? Nur gegen das viele Wasser von oben, da geht auch die neue Technologie baden. Es schüttet noch immer, das Fischerboot „Emma“ schaukelt aufgeregt im Hafenbecken. Ein Fischbrötchen wäre jetzt noch ein Hit, aber alle Rollbalken sind schon gefallen. Wismar schläft bereits und das kurz nach acht.

Zug statt Kopfsteinpflaster, Freund Ernst und die schönste Form von deutsch-deutscher Wiedervereinigung


16. Tag: Mittwoch, 28. Juni

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Strecke: Greifswald – Stralsund – Barth – Ostseeheilbad Zingst – Ostseebad Prerow – Dierhagen

Streckenlänge: 134 km

Das historische Kopfsteinpflaster auf der Strecke Greifswald – Stralsund spar ich mir. Diese Strecke hatte ich schon mal, brauch ich nicht mehr, ich nehme lieber den Zug. In der Hansestadt Strahlsund dominiert der Backstein, am Hafen die Fischbrötchen. Beim Verlassen der Stadt treffe ich meinen Freund Ernst, Ernst Thälmann. Versteinert blickt er von der Strandpromenade aus Richtung Meer. Auch heute wieder eine ruhige Strecke, kleine Dörfer, Bungalows mit perfekt gestutztem Rasen, Koppeln mit Pferden, Rindviecher grasen und alles mögliche Geflügel. Unterwegs zähle ich zum Zeitvertreib die Radler_innen „mit“ und „ohne“. Meine nicht repräsentative Statistik geht mit 41:40 an die „Eierschädl“ (liebevoll für Helmträger_innen). In Barth treffe ich auf Jutta und Harald, unsere Blicke haben sich schon am Bahnhof von Greifswald gestreift. Beide ohne Eierschädl dafür mit Cowboyhut. Jutta aus Göttingen, Harald aus Dresden, jahrelang getrennt durch den Eisernen Vorhang. Nach der Öffnung haben sie sich kennengelernt, heute sind sie seit sieben Jahren ein Paar. Die schönste Form von deutsch-deutscher Wiedervereinigung! Geschichten werden ausgetauscht, Erfrischungsgetränke getrunken, die Zeit übersehen. Schön war’s, aber jetzt kommt mein Zeitplan doch noch ins Wanken. Die Halbinsel Darß wartet noch, Seebäder, Moorwälder, Fischland. Mein Zelt steht heute nahe der Dünen in Dierhagen.

Badewanne der Berliner, endlich Entspannung und wunderbare Fischbrötchen


15. Tag: Dienstag, 27. Juni

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Strecke: Ostseebad Karlshagen – Peenemünde – Freest – Seebad Lubmin – Greifswald

Streckenlänge: 73 km

Obwohl ich jetzt schon seit zwei Wochen an der Ostsee unterwegs bin, war ich noch kein einziges Mal baden. Erst hat das Wetter nicht gepasst, jetzt mag ich grad nicht. Usedom wird auch die „Badewanne der Berliner_innen“ genannt und wo schon so viele Menschen sich gesäubert haben, steck ich meine Zehen nicht mehr rein. In der Campingstadt, werde ich vom Nachbar-Wohnwagen auf ein Abendbrot eingeladen und erfahre allerlei Geschichten von geländegängigen Fahrzeugen und übers Campen vom Profi. Mein Gegenüber hat für jede Aufgabenstellung das passende Werkzeug parat.
Heute rollt alles perfekt, fahrbarer Untergrund auf allen Wegen. Eine landschaftlich sehr schöne unaufgeregte Strecke führt den Pennestrom runter dann rauf und durch ein Fischerdorf  – Freest – das den Namen auch verdient und noch nicht zum Seebad verkommen ist. Es gibt auch ein Seebad (Lubmin) an dem der große Zirkus anscheinend vorbeigezogen ist, auf der obligatorischen Seebrücke – niemand da! Das Tagesziel Greifswald wird schon am frühen Nachmittag erreicht. Heute schlaf ich wieder einmal in einem festen Bett, vorher stehen Restaurierungsmaßnahmen auf dem Programm: Körper- und Wäschepflege, Schlafsack ausstinken lassen, … An der Ryck, der Greifswalder Verbindung mit der Ostsee, darf ich heute einmal in Ruhe, bei einem Erfrischungsgetränkt, Blog schreiben.
Allfälliges: Seit gestern kann ich mich wieder im gewohnten Maße verständlich machen, gleichzeitig verstehe ich auch alles, was nicht immer von Vorteil ist. Kulinarisch waren die ersten zwei Wochen eher als Nahrungsaufnahme zu verbuchen. Ab sofort gibt es Fischbrötchen und Würzfleisch – großartig! Einzig die Fischbratwurst?!, die geht gar nicht!

Geschundene Waldwege, ein weiterer Länderwechsel und der „Geschmack der Gerechten“


14. Tag: Montag, 26. Juni

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Strecke: Dziwnów – Międzyzdroje – Świnoujście (PL) – Seeheilbad Ahlbeck (D) – Ostseebad Karlshagen

Streckenlänge: 92 km

So richtig warm ist es in den letzten Tagen nur im Schlafsack. Achtzigerjahre-Klänge aus der Disco nebenan dröhnen mich in den Schlaf.
Der Tag beginnt auf Wegen weg vom Wasser durch das Land, durch Kastanienalleen, vorbei an Feldern durch kleine Dörfer. Ein Loblied auf den „Sklep“, jede kleinere Ortschaft hat einen, diese Mini-Märkte bieten alles, vom Klopapier bis zur Wurstsemmel. Die letzten polnischen Kilometer haben noch einige Überraschungen auf Lager, vom Regen geschundene Radwege, sowie nicht ganz eindeutige Angaben in meinem Radbuchbegleiter verleiten mich beinahe zu einer ausufernden Extratour. Das Wetter hat sich positiv eingerenkt und die Grenzstadt Świnoujście ist in Reichweite. Die polnische Etappe hat uns beide, mein Brompton und mich, teilweise an unsere Grenzen gebracht – Wetterverirrungen, Sandpisten, fehlende Zeit – trotzdem will ich keinen Kilometer missen. Seitenwechsel. Über der Grenze dasselbe Bild, auch in den deutschen Seebädern steppt der Bär. Die Hotels und Villen heißen Kaiser Wilhelm oder Germania, davor wird Störtebecker-Bier – „der Geschmack der Gerechten“ – ausgeschenkt. Der Kapitalismus hat keinen Genierer! Nach den ersten drei großen Seebädern führt ein Waldweg hinaus aus dem Wahnsinn, sehr romantisch wenngleich weniger abenteuerlich als auf polnischer Seite, ich weiß es zu genießen. Der heutige Campingplatz ist eine penibel durchorganisierte Kleinstadt deutscher Gründlichkeit – schlafen werd ich trotzdem gut.

Luxusprobleme, Dauerregen und pure Wut


12. Tag: Samstag, 24. Juni

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Strecke: Rowy – Ustka – Darłówko – Dabki – Dabkowice – Łazy

Streckenlänge: 95 km

Trotz mentaler Bestform geht mir gerade alles, um es kindergerecht zu formulieren, auf den Geist: die Kirtagsdörfer mit Strandzugang, das ganze Souvenirgerümpel, kein Internetz, die zu befahrenden Untergründe, die Radwegbeschriftungen, das Wetter, … Alles Luxusprobleme. Trotzdem! Heute ist kein Tag für Fahrrad-Romantik, heute wird nur auf die Kilometerleistung geachtet. Keine Radwege, Bundesstraße! Überlandregen in allen Abstufungen, um die Mittagszeit in Darłówko bin ich nass bis auf die Knochen. In der Mittagspause setzt der Regen aus, um sich rechtzeitig zur Abfahrt wieder wichtig zu machen. In Dabki tobt wieder der Zirkus. Rege Bautätigkeit. Der letzte Ost-Charme wird beseitigt um eine Vergnügungs-Wunderwelt mit Meerblick aus der Erde zu stampfen. Radfahrtechnisch läuft alles rund, die letzten Kilometer reine Formsache. Nur, die Realität hat immer Überraschungen auf Lager. Die vermeintliche Spazierfahrt zur heutigen Liegestadt wird zum Härtetest. Ein reiner Sandweg über fünf Kilometer. Rad schieben ist schlimm, Rad samt Gepäck tragen ist die Hölle. Beim Schieben kommen sich mitunter auch die Pedale mit den Beinen in die Quere. Die darauffolgenden Schreie haben mit Schmerz nichts zu tun, purer Zorn! Mein „Bobo-Porsche“ (© Reinhold Schachner) weiß mit fast allen Bodenbeschaffenheiten umzugehen, nicht mit Sand! Apropos Brompton, mein Zweirad löst die unterschiedlichsten Reaktionen aus, von ungläubigem Kopfschütteln bis Daumen hoch. Manche halten es im gefalteten Zustand für einen Rollstuhl, andere Fragen „Und wo ist der Motor?“, und die beste Meldung bis dato – „Where you do want to go with this?!“. Schau ma mal, was der morgige Tag zu bieten hat …

Ein Meer aus Sand, schieben statt rollen und das nächste Jahrmarktsdorf


11. Tag: Freitag, 23. Juni

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Strecke: Łeba – Izbica – Kluki – Smołdzino – Rowy

Streckenlänge: 74 km

Spätabends, wie auf Knopfdruck sind alle Menschen verschwunden und alle Läden dicht. Auch die Köch_innen machen Feierabend. Mit Mühe bekomme ich eine Pizza. In der Nacht kommt er dann doch noch, der Regen. Da lieg ich aber schon fest eingepackt in meinem Schlafsack, sehr romantisch.
Der frühe Vogel fängt den Wurm, so mache ich mich schon sehr zeitig auf den Weg zu den Wanderdünen von Łeba, ein Extra-Ausflug von tour-retour 20 Kilometern. Die Nationalpark-Kasse hat noch geschlossen und ich wandere alleine durch ein Meer aus Sand, am Rückweg trudeln die ersten Besucher_innen ein. Weiter die eigentliche Route: Durch den Wald, durch Wiesen und Felder, durch vergessene Dörfer. Die Untergründe werden immer ausgefallener. Auf Sandwege folgen Betonplattenwege und diese enden auf Pfaden durch Sumpfwiesen. Es wird oft geschoben. Ab dem Freilicht-Museums-Ökodorf Kluki kündigt sich wieder eine Kurzstrecke Asphalt an. Der Segen hält nur kurz, es folgen Betonplatten- und Sandwege bis zu meiner heutigen Bettenstation, einem dubiosen Campingplatz in Rowy, einem weiteren Jahrmarktsdorf mit Meerzugang. Zusätzlich hab ich noch eine unfreiwillige Ehrenrunde eingebaut – schon wieder verfahren! Die Hafenkneipe versöhnt mich mit dem Tag, bis der große Wolkenbruch kommt. Gut eingeweicht versenke ich mich in meinem Schlafsack, um von Sand- und Betonplattenwegen zu träumen.
Zum Schluss noch eine Beobachtung: Polnische Radler_innen besprayen neben ihren Körpern auch ihre Räder mit Gelsen-Abwehr.

Ein Schiff wird kommen, Trubel bis Einsamkeit und eine Routenänderung


 

10. Tag: Donnerstag, 22. Juni

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Strecke: Gdynia – Hel – Chałupy – Debki – Sasino – Łeba

Streckenlänge: 110 km

Hab’s von meinem „Blues Room“ gerade noch runter ins „Blues Pub“ geschafft. Kein Stadtrundgang, keine frischen Fotos, keine Strandpromenade, stattdessen Jam-Session, Burger und Bier. Trotzdem bin ich noch weit früher als die Sonne schlafen gegangen, wieder aufgestanden bin ich vor ihr.
„Ein Schiff wird kommen“, davon wusste schon Lale Andersen ein Lied zu singen, meines kam erst um Zehn. Wertvolle Radstunden werden mit warten verplempert. Eine Gruppe Teenager feiert während der Überfahrt nach Hel ausgelassen das Leben.
Es warten über 100 Kilometer und nicht immer hält die bevor liegende Strecke das, was die Radkarte mir glauben macht. Hel ist der touristische Kopf einer 34 Kilometer langen Landzunge zwischen Ostsee und Putziger Wiek, eine einzige Tourismus-Meile. Zwischen den Hotspots verläuft der Radweg durch den Wald oder entlang des Putzieker Wiek. Abseits der Strecke immer wieder Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg, Bunkeranlagen mitten im Wald. Die heutige Strecke hat es in sich, Kalt-Warm auf allen Wegen: Auf hohes Verkehrsaufkommen und Menschenmassen folgt die Einsamkeit. Auch die zu befahrenden Untergründe spielen alle Stücke, von Asphalt, Wald-, Schotter-, Kopfsteinpflaster- bis zu Sand-Wegen alles im Programm. Dem nicht genug, nehme ich auch noch eine ungewollte Routenänderung vor. Verfahren! Das Hoppala endet im Sand, Schrittgeschwindigkeit und teilweises Schieben. Kurz vor Sonnenuntergang roll ich dann doch noch in Łeba ein. Ein harter Arbeitstag und übrigens, angesagte Unwetter finden nicht statt, Sonne und harmlose Wolken, kein Regen.

Kalte Dusche, Solidarność und in Gdynia hängen geblieben


9. Tag: Mittwoch, 21. Juni

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Strecke: Jantar – Danzig – Sopot – Gdynia

Streckenlänge: 57 km

Warmes Wasser gibt es erst ab acht Uhr, so muss der Körper mit kaltem Wasser gesäubert werden. Dafür freu ich mich auf warmen Kaffee zur ersten Pause.
Die Weichsel wird überquert und die Tote Weichsel führt an die Ränder von Danzig. Die Stadteinfahrt gestaltet sich gewohnt mühsam, es wird gebaut wie wild, in der Innenstadt das übliche Geschiebe, alles drängt sich um den Neptunbrunnen. Die Ränder wären interessanter, nur dazu fehlt die Zeit. Aber, ein Besuch muss sich ausgehen: Das Tor 2, der ehemaligen Danziger Lenin-Werft. Das Werkseingangstor ist renoviert und davor steht ein 40 Meter hohes Denkmal zur Erinnerung an die 1970 bei Protesten getöteten Werftarbeiter. Die Gewerkschaftsbewegung Solidarność, eine wichtige Kraft der politischen Wende 1989. Heute ist der „Plac Solidarności“ eine Gedenkstätte. Der Hackler-Eingang, der noch immer bestehenden Danziger Werft, liegt unweit dahinter und für ein Solidaritäts-Bier in der Werkskantine muss Zeit sein!
Stop-And-Go, fotografieren und treten. Im nahegelegenen Sopot, der Côte d’Azur von Polen, ein ganz anderes Bild: Noble Hotels, Strandcafés, Seebrücke, Bernsteinkult. Schnell weiter nach Gdynia, um noch die Fähre nach Hel zu erwischen, zu viel Trubel rundherum. Zu spät, nächste Fahrt morgen zehn Uhr und Campingplatz gibt es auch keinen. Viel zu wenige Kilometer gemacht – ein Frust-Bier – später finde ich ein freies Bett in den „Blues Rooms“.

Goodbye Lenin, Grenzproblemchen und Füße in den Sand


8. Tag: Dienstag, 20. Juni

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Strecke: Kaliningrad – Mamonowo – Braniewo – Frombork – Elbag – Stegna – Jantar

Streckenlänge: 151 km

Eine Radreise ist kein Städte-Trip. Die Eindrücke stapeln sich und bleiben unverarbeitet. Und dann wäre da noch die fremde Schrift: Wer nicht lesen kann muss fühlen! In einem Wirtshaus werde ich durch heftiges zuprosten aufgefordert den Tisch zu wechseln. Das junge Paar kommt aus Birobidschan, von Kaliningrad über 9.000 Kilometer weit entfernt, nahe der chinesischen Grenze, Wladiwostock ist auch nicht mehr weit. Sie machen Urlaub. Es wird getrunken, gelacht, Fotos gezeigt, nur die sprachliche Konversation will nicht funktionieren. Eine Übersetzungs-App hilft.

Genosse Lenin steht noch immer auf seinem Sockel und wärmt sich in der Morgensonne – Goodbye! Raus aus der Stadt, wieder rein ins Land. Aufgrund des starken Verkehrs wird bis zum grenznahen Mamonowo wieder Bus gefahren, ein weiterer Länderwechsel mit Passkontrolle wartet. Der Grenzübertritt nach Polen verläuft nicht reibungslos. Natürlich radle ich an der langen Autoschlange vorbei und überfahre ein Stopp-Schild. Da kennt der Grenzer keinen Spaß, darüber hinaus hat sich eine Packung Zigaretten zu viel in meinem Gepäck verirrt, aber auch das wird mit Charme gebügelt. Der heutige Tag gestaltet sich zerrissen, restliche Rubel ausgeben, Grenzübertritt, frische Złoty einkaufen, es ist an der Zeit Kilometer zu machen. Das mit dem Planen hatten wir schon, es kommt immer anders: In Frombork sollte mich ein Schiff über das Frische Haff nach Krynica Morska übersetzen, der starke Wind hatte andere Pläne – kein Fährbetrieb. Ums Haff herum, ein grober Umweg. Eine sich mir bietende Bus-Mitfahrgelegenheit nehme ich gerne an. Am Ende des Tages wird doch noch alles gut, mein Ein-Mann-Haus steht auf einem Campingplatz in Jantar nahe Danzig und jetzt stecke ich die Füße in den Sand!