Nett verplaudert, verspätet sind die Wünsche angekommen und ein Blick in mein Wohn-Schlaf-Zimmer


20. Tag: Sonntag, 2. Juli

Karte

Strecke: Alt Garge – Darchau – Kaltenhof – Gorleben – Lenzen – Schnackenburg – Arendsee

Streckenlänge: 107 km

Anstatt schlafen zu gehen wird bis in die Nacht angeregt geplaudert, über Reisen, slawische Sprachen und die Besonderheit des Wiener Heurigen. Steve und Christina sind mit dem Tandem übers Wochenende aus Lübeck angereist. Ursprünglich kommen sie aus der Trabi-Hauptstadt Zwickau und aus Salzwedel, an das Eingesperrtsein in der DDR, daran haben die Beiden keine Erinnerung mehr, die Gnade der späten Geburt.
Das Schuheausstopfen war für die Fisch, das Zeitungspapier war nass, die Schuhe ebenso. Auch heute bleibt die Regenhaut das dominierende Kleidungsstück, erst am späten Nachmittag erreichen mich die guten Wünsche meiner Liebsten und die Sonne schaut auf einen Sprung vorbei. Die Elbe, flach eingebettet zwischen fetten Wiesen, begleitet mich heute fast den ganzen Tag. Mehrmals werden die Seiten gewechselt, bis sie sich Richtung Magdeburg verabschiedet. Mein Weg führt weiter Richtung Arendsee. Genauso oft wie die Wasserstraße wechsle ich die ehemalige „Zonengrenze“. Mein gefaltetes Rad sorgt immer wieder für Aufregung und hält mich ab vom Blog schreiben. Die fragende Feststellung – „Mit dem Rad?!“ – höre ich täglich mehrfach. Die ursprüngliche Einschätzung der Radkolleg_innen trägt den Stempel „Sonntagsfahrer“ und das kränkt das Bromptonauten-Herz. Ansonsten keine großen Aufregungen, zum Schluss erlaube ich Euch noch einen Blick in mein Wohn-Schlaf-Zimmer.

Mitteilungsbedürftiger Bettvermieter, ein Platz an der Sonne und die Weihnachtshölle Dresden


Freitag 23. Dezember

Karte

Strecke: Riesa – Meißen – Sächsische Weinstraße – Radebeul – Dresden

Streckenlänge: 52 Radkilometer      Fahrzeit: 3 h 20 min

Der Bettvermieter ist sehr mitteilungsbedürftig – Geld und Fußball, Stahlwerk Riesa, unverschweißte Rohre, … – alles sehr interessant – aber das Bett ruft.
Der letzte Tag beginnt reserviert, der Himmel hat eine dicke Wolkendecke aufgezogen. Verwöhnt von den letzten Tagen fällt das Motivationsbarometer. Nach den ersten krampfigen Kilometern, rechtzeitig mit Beginn der Sächsischen Weinstraße, reißt es auf, Sonnenbegleitung bis zur Endstation. Ab sofort passt auch die Infrastruktur. Weinschenken am Wegesrand laden zum Verweilen ein. Die Strecke ist berechenbar, der Gusto vorhanden, der Gaumen willig! Die „Elbthalschmiede“ direkt am Radweg wartet auf mit einem Platz an der Sonne. Eine Terrasse im Freien, eine Decke, vor mir die Elbe, im Rücken Meißen und die Albrechtsburg, in der Hand ein Glaserl Goldriesling. Fast vollkommenes Glück! Beschwingt radelt es sich nach Meißen. Jetzt geht alles Schlag auf Schlag, Coswig, Radebeul (hier lebte und starb Karl May) und in der Ferne zeichnet sich schon die historische Silhouette von Dresden ab. Zieleinlauf bei Sonnenuntergang. Kurze Freude, doch die größte Hürde kommt erst: Es fehlen noch volle acht Stunden bis zur Bus-Abfahrt. Zusätzlich ist Dresden zur Zeit ein einziger Weihnachtsmarkt, vom Bahnhof weg durch die ganze Altstadt, einzig die Augustusbrücke ist noch glühweinfreie Zone. Aber kaum ist die Elbe überwunden geht der Zauber weiter bis tief in die Neustadt. Dem nicht genug bevölkert eine Heerschaft von Weihnachtsmännern die Szene. Noch immer vier Stunden!

Same as Yesterday, ein Hit und damals in der DDR …


Donnerstag 22. Dezember

Karte

Strecke: Torgau – Belgern – Strehla – Riesa

Streckenlänge: 51 Radkilometer      Fahrzeit: 3 h 30 min

Aufwärmrunde im „Traudl’s Inn“, erste Hälfte im „Zum alten Fritz“, die zweite im „Hans Wurst“. Alles wunderbar klingende Raucherkneipen. Um zum Wesentlichen zu kommen: Eine Tragödie, im ersten Akt alles vorbei, die Sachsen bekamen in Bayern Drei zu Null eins auf die Dose.
Zum Heute, in Torgau, direkt an der Elbe trohnt das Schloss Hertenfels samt Bärenfreigehege im Schlossgraben, allerdings ohne Bären, die halten bereits ihren Winterschlaf. Außerdem trafen am 25. April 1945 im Elbgebiet um Torgau die sowjetischen und amerikanischen Truppen zusammen und setzten dem Wahnsinn des kleinen Österreichers ein Ende.
Für die Etappe bis Riesa gilt, ausschneiden und kopieren des gestrigen Beitrags. Auf jeden Fall: Der Elbe-Radweg ist ein Hit, verkommt aber jeden Sommer zur Fahrrad-Autobahn mit Staugefahr in beiden Richtungen. Die heutige Endstation, die Stahlstadt-Riesa, gilt als schmuddelige Schwester von Torgau oder Meißen, dafür versprüht es noch eine gesunde Portion DDR-Charme. Hafen, Fabriken, Plattenbausiedlungen. Auch im Stadtbild wirkt alles etwas unaufgeregter. Apropos DDR, egal wo, egal wer mit wem, egal welches Thema, spätenstens nach fünf Minuten kommt der Satz: „Damals zu DDR-Zeiten war …“ Heute wartet die letzte Nacht in einem Bett, die morgige wird im Bus verbracht.

Bestform, viel Landschaft wenig Menschen und Daumendrücken für den Dosenverein


Mittwoch 21. Dezember

Karte

Strecke: Lutherstadt-Wittenberg – Elster – Pretzsch – Dommitzsch – Torgau

Streckenlänge: 81 Radkilometer     Fahrzeit: 4 h 20 min

Das (Berliner)Kulturprogramm ist aus dem Blut geschwitzt, der Körper läuft wieder zur Bestform auf. 8 Uhr Aufstehen, 9 Uhr Frühstück, 10 Uhr Abfahrt. Luther in der Buchhandlung, Luther als Schokolade, Luther im Sockenladen, Luther im Haus der Geschenke. Thesen, Luther, Trallalaa! Ich verlasse die Lutherstadt-Wittenberg Richtung Torgau. Alles rundherum ist weiß, die Elbe zu rechter Hand in Spuckentfernung bis Elster. Weiter geht es quer durchs Land. Wasser, Felder, Landstraßen, kleine Dörfer. Auffallend, auf den Landstraßen keine Autos, in den Dörfern keine Menschen. Ein Hahn kräht als einziges Lebenszeichen. Ansonsten ist heute ein Jackpot-Tag: Die Sonne scheint, die Fähre gestattet die Überfahrt. Nur die Verpflegung wird zum Krampf, keine Wirtshäuser und wenn dann geschlossen. Falsche Zeit, falscher Ort. Dafür spielt die Fauna wieder alle Stücke: Wildgänse in Schwärmen, Rehe zum Abwinken, Reiher und anderes Federvieh. In Torgau stoße ich wieder auf Luther in der Light-Version. Torgau, ein Schmuckkästchen der angenehmen Variante. Der obligatorische Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus, dafür stimmt das Rundherum. Im Kulturhaus am Rosa-Luxemburg-Platz ist heute eine X-Mas-Ü30-Party angesagt. Da werde ich fehlen. Heute steht Fußball am Programm. Alles in Aufregung, der Erste spielt gegen den Zweiten. Aufsteiger Leipzig trifft auf den Meister aus Bayern. In diesem Fall werde ich dem Dosen-Verein als einziger Ost-Mannschaft in der Bundesliga die Daumen drücken.

Hunger in Magdeburg, viel Tier wenig Mensch und Einstellungsschwierigkeiten


Montag 19. Dezember

Karte

Strecke: Magdeburg – Cracau – Randau – Grünewalde – Pretzien – Walternienburg – Steckby – Aken – Dessau

Streckenlänge: 81 Radkilometer     Fahrzeit: 5 h 25 min

Magdeburg auf Berlin, das ist ein Kulturschock. Um 22 Uhr sind die Gehsteige längst hochgeklappt und die Nahrungsaufnahme wird schwierig. Von Kulturprogramm keine Rede. Der erste Eindruck: Kaufpassage folgt auf Kaufpassage. Zu Ost-Zeiten war Magdeburg sozialistisch grau, heute ist es kapitalistisch tot.
Der Eindruck bei Tageslicht versöhnt nur halbherzig. Von der Elbe aus betrachtet wird das Bild ein weiteres Mal zart korrigiert. Die Ränder machen die Retusche. Auch ein Ösi hat hier seinen Fußabdruck hinterlassen, Friedensreich Hundertwasser. Ein Meister kopiert sich. Nach einer kleinen Stadtrundfahrt wird die Elbe-Radweg-Fährte aufgenommen. Kurz nach Magdeburg verliert sich die Spur und endet im Gatsch. Aus, Stopp, Retour. Bei Randau wird die Fährte wieder aufgenommen. Auen, Felder, Wälder, Wildenten, Rehe, Greifvögel. Wenig Menschen. Keine (geöffneten) Gastwirtschaften. Falsche Zeit! Der Umstieg vom Kulturprogramm-Modus auf den Radsportprogramm-Modus fällt schwerer als befürchtet. Auch das Sportgerät leidet unter Abstimmungsproblemen. Irgendwann geht das Tageslicht aus und die letzten fünfzehn Kilometer, ab Aken werden mit Kunstlicht bestritten. Das Finale wird zum K(r)ampf. Ende gut, Alles gut. Eine „Haxe“ im Brauhaus versöhnt. Morgen folgt die Sparvariante Richtung Wittenberg.