Heute mach ich blau, trotzdem läuft nicht alles wie geplant


21. Tag, Freitag 01. Juli

Strecke: Goce Delcev – Dospat

Streckenlänge: 52 km (Bus)      Fahrzeit: 1 h 30 min

Goce Delcev hat es sich verdient noch ein wenig zu verweilen. Der Vormittag wird vertrödelt. Ordentlich frühstücken, in die Luft schauen, beobachten. Auffallend ist die Schrittgeschwindigkeit der Delcever_innen die den Namen auch verdient. Es lebe der Schlendrian. Obwohl Bulgarien uns eine Stunde voraus ist, laufen hier die Uhren langsamer. In den kleinen Straßencafes ist das Platz nehmen auch ohne Konsumation gestattet, die Bestellungsaufnahme hat Zeit und alles Raucht. Sehr viele Kinderwägen und Mütterstammtische, nur die Mobiltelefone sind genauso beliebt wie bei uns zu Hause.
Um 14 Uhr geht mein Bus nach Dospat. Schluß mit Bergstrecken, heute wird mein Brompton nur im Nahverkehr eingesetzt. Dospat liegt auf 1.200 Meter. Ein aus der Zeit gefallenes moslemisches Bergdorf. Zwei Moscheen, die Straßen desolat, die Gehsteige in Arbeit, an den Häusern nagt die Zeit. Viele Geschäfte sind geschlossen, aber die Hotels sind bestens belegt, was an dem nahe gelegenen See und der reizvollen Berglandschaft liegen mag. Eigentlich sollte Dospat nur ein Zwischenstopp sein, aber die Busverbindungen sind rar und morgen geht gar kein Bus in meine Richtung. Ich werde mich wohl wieder aufs Rad schwingen müssen. Durch die Berge.
Gerade zieht ein Gewitter auf. Koid is!

Liegen gelassen


21. Tag, Donnerstag 30. Juni

Strecke: Marino Pole – Katunci – Gorno Spancevo – Dobrotino – Goce Delcev (Karte)

Streckenlänge: 58 km (davon 42 km/Rad)      Fahrzeit: 3 h 15 min (davon 2 h 41 min/Rad)

Wie auf jeder meiner Reisen bleiben auch auf der Eisernen-Vorhang-Tour Kleidungsstücke von mir zurück. Ein vor dreizehn Jahren gestartetes Projekt hat heuer Aufnahme in die Wiener Boulevardzeitung Augustin gefunden.
„Liegen gelassen“ im Sinne von – „Wherever I lay my hat, that’s my home“. Die Souvenirs bleiben in den Regalen, stattdessen lasse ich an ausgewählten Plätzen ein Stück von mir zurück. So wie heute in Goce Delcev. Die nach dem Revolutionär Georgi (Goce) Deltschew benannte Stadt hieß bis 1951 Nevrokop. In Bulgarien und Mazedonien gilt Deltschew bis heute als Nationalheld. Die Rohbauweise im Fotohintergrund ist nicht immer beabsichtigt, wird aber gleichzeitig als Stilmittel eingesetzt. Das hat was! (Apropos Augustin, die neueste Ausgabe erscheint am 6. Juli)
Der Popski Pass (1.120 Meter) wurde heute auf vier Etappen bezwungen. Radfahrend, mitfahrend (Geländewagen), radfahrend/schiebend und wieder mitfahrend (PKW). Wie auch immer, irgendwann war ich dann oben. Bei der darauffolgenden Abfahrt habe ich die vorgegebenen Geschwindigkeitsbegrenzungen fallweise übertreten. Schön wars. Die Weiterfahrt habe ich verpasst, aber das macht gar nichts, Goce Delcev ist sehr reizvoll.

So schauts aus …


20. Tag, Mittwoch 29. Juni

Strecke: Strumica – Novo Selo (MK) – Petric (BUL) – Marino Pole

Streckenlänge: 71 km      Fahrzeit: 3 h 43 min

Nachfolgend einige aufklärende Worte zum Tagesablauf eines Reisenden:
Zu den Fahrzeiten. Die Fahrzeiten sind Nettozeit, Pinkelpausen, die flüssige Energiezufuhr unterwegs, fotografische Tätigkeiten, Exkursionen, … sind nicht miteingerechnet.
Das Fotografieren gestaltet sich schwieriger als erwartet. Wenn die Räder rollen ist es radlertechnisch oft kontraproduktiv den Fluss zu unterbrechen um den Moment einzufangen. „Should I Stay Or Should I Go“? Das beste Licht? Geht nicht. Zusätzlich bin ich doppelt eingesetzt, mit meiner Panasonic Lumix und dem i-pad. Die Fotos aus dem Blog stammen allesamt aus der Apfel-Kiste.
Das Radeln. Meistens trägt mich mein Brompton. Bei Ausflügen zu Wasserfällen, Ruinen und in die Bettstation wird es von mir getragen. Manchmal darf es auch Auto oder Bus fahren. Wir sind ein tolles Paar. Es wird auch wöchentlich auffrisiert und langsam werde ich im tunen geschickter.
Die Glücksmomente in aufsteigender (Wertigkeit) Reihenfolge: eine geeignete Bettstation, die beste Dusche der Welt, Schlafen wie ein Kleinkind, das erste Erfrischungsgetränk, Essen.
Der Blog, entsteht immer nach der Herbergssuche, immer frisch geduscht bei einem Durstlöscher.
Und vor dem Schlafen kommt das Schönste, Essen! Sonst noch was?
Zum Heute. Es war wieder ein reiner Radtag mit Grenzübertritt. Ausnahmsweise, weil morgen warten wieder die Berge …

Pässe, Krämpfe und ein Glücksfall


19. Tag, Dienstag 28. Juni

Strecke: Blagoevgrad – Logodaz (BG) – Delcevo (MK) – Berovo – Strumica (Karte)

Streckenlänge: 130 km (davon 31 km/Rad)      Fahrzeit: 4 h 55 min (davon 1 h 55 min/Rad)

Heute stehen drei Pässe jenseits der 1000 Meter Marke auf dem Programm. Diese aus eigener Muskelkraft zu erradeln wäre ein Krampf. Als mein eigener Teamchef hab ich daher die Taktik von Solo-Rad auf Mixed-Vehikles umgestellt. Das neue System funktioniert anfangs prächtig. Vor dem ersten Pass (Grenze Bulgarien/Mazedonien), erste Anbahnung einer Mitfahrgelegenheit, Volltreffer! Das Vergnügen der Down-Hill-Abfahrt lasse ich mir natürlich nicht nehmen. Auf Grund der Höhenunterschiede und des körperlichen Verfalls sind keine Heldentaten mehr in petto. Ein weiterer Krampf ist der ewige Geldwechsel-Krimi. Drei Währungen im Hosensack will kein Land die Währung des anderen Landes tauschen. Euro only!
In Berovo gelandet, zwei weitere Tausender-Höhen vor der Nase hoffe ich auf eine Fortsetzung meiner Glückssträhne. Fehlanzeige. Flaute. Kurz vor der Kapitulation und einer unfreiwilligen Übernachtung meint es der Zufall doch wieder gut mit mir. Eine Famlie lädt mich auf ihren gemeinsamen Ausflug ein, mit der Option auf eine Weiterfahrt nach Strumica. So komme ich auch noch in den Genuss des Berevo Sees. Wunderbare Extratour mit Familienanschluß. Auf luftarmen Reifen schaffen wir die Berggipfel und landen abends sanft in der Tallandschaft von Strumica. Wieder einmal – Danke!

ps: Ein weiterer Highlight, eine Baby-Schildkröte am Wegesrand.

Einsamkeit, Ehrenrettung und auf vier Rädern in die große Stadt


18. Tag, Montag 27. Juni

Strecke: Tran – Stajcovci – Kosovo -Treklyano – Kyustendil – Blagoevgrad

Streckenlänge: 143 km (42 km/Rad).     Fahrzeit: 4 h 35 min (davon 2 h 20 min/Rad)

Nach einer kurzen Wohlfühlstrecke geht es wieder bergauf durch den wilden Balkan. Nicht unfahrbar, aber stetig. Waldlandschaften und einsame, fast verlassene Dörfer auf 40 Kilometer. Zwei Autos, zehn Menschen, keine Jausenstation. Auch keine freilaufenden Hunde. An dieser Stelle eine Richtigstellung zur Ehrenrettung der Straßenhunde. Die wilden Hunde sind meist harmlos, lästig sind die, die glauben etwas verteidigen zu müssen. Kommt uns da nicht was bekannt vor?
Übrigens die Beschilderung hat sich insofern gebessert, dass auch für mich lesbare Schriften vorkommen. Außer Treten bleibt viel Zeit für Selbstgespräche und zum Singen. Mein heutiger Schlager: Die Lassie Singers, „Auf allen Wegen Regen Regen, wir haben nichts dagegen,
Regen macht uns Spaß, er macht uns alle nass“, vielleicht aus einem Wunschgedanken heraus. Und irgendwann kommt das letzte Lied, dann ist der Spaß vorbei und ich suche nach einer Mitfahrgelegenheit. Wenige Autos, wenig Chancen. Erster Versuch, Volltreffer! Keine Teilstrecke, gleich bis Kyustendil. Und weil es sich auf vier Rädern schneller rollt, hab ich gleich noch den Bus nach Blagoevgrad genommen. Als eine der größten Städte Südwestbulgariens ist hier Endstation mit Einsamkeit.

Aufbauphase, neue Probleme und bulgarische Gastfreundschaft


17. Tag, Sonntag 26. Juni

Strecke: Dragoman – Gaber – Krusa – Vrbaca – Tran

Streckenlänge: 43 km      Fahrzeit: 2 h 55 min

Ich hab mich wieder aufs Rad getraut. Neues Land, neuer Elan. Eine kleine Etappe sollte es werden, um den maroden Körper nicht gleich zu überfordern. Es wurde eine Tour durch die Berge, durch teils verlassene Dörfer, auf geschundenen Wegen. Landschaftlich ein Traum. Und dann waren sie wieder da, die Straßenhunde. Ich hab mir ein Stöckchen besorgt, nicht um es zu werfen … Bei der ersten Attacke, hab ich es stecken lassen und bin um mein Leben geradelt. Ein riesen Viech, so etwas hat keine Angst vor Stöckchen.
Eine weitere, neue, Problematik ist aufgetaucht, die Beschilderung. Nicht immer vorhanden, nicht immer lesbar, und wenn, meist nur in kyrillischer Schrift.
Trotzdem hat mir eine, für mich nicht lesbare Tafel, den Weg zu einem Naturschauspiel gewiesen. Purer Zufall. Parkende Autos im Nirgendwo. Hier ein Pfad. Da ein Experiment. Mein Rad und ich tauschten kurzfristig die tragenden Rollen. Und aus dem Nichts, ein Wasserfall. Dort durfte ich zum ersten Mal bulgarische Gastfreundschaft genießen. Ein flussgekühltes Bier und einen Grillspieß. Danke!
Trotzdem werden Busse und Mitfahrgelegenheiten in den kommenden Tagen eine willkommene Alternative bleiben.

Zum Schluß noch ein Nachtrag. Der Sager des vergangenen Tages, von einem deutschsprachigen serbischen Roma, am Busbahnhof von Pirot (SRB): „Zigeuner und Juden sprechen alle Sprachen.“

Beobachtungen an einem radfreien Tag


16. Tag, Samstag 25. Juni

Strecke: Zajecar – Knjazevac – Pirot – Dimitovgrad (SRB) – Dragoman (BG)

Streckenlänge: 185 km (Bus/Zug)

Menschenschlangen vor der Bank.
Jedem Serben sein Herrentascherl zum Umhängen.
Die männlichen Bäuche sind beachtlich und ihre Träger sichtlich stolz darauf.
Der Einkauf wird per Hand, oder auf der Fahrrad-Lenkstange nach Hause transportiert.
Die Straßenhunde sind friedlich und integriert, manchmal fällt ein Happen ab.
Rauchen ist fast überall und jederzeit erlaubt, nur nicht im Bus.
Der Busfahrer hat wenige Zähne, dafür umso mehr Schmäh.
Mir geht es wie dem österreichischen Nationalteam, ich bin außer Form.

Mit dem Bus geht es dreieinhalb Stunden holprig durch das Land. Die Hügel wachsen zu Bergen, Flüsse fließen, Schluchten fallen, ein Wasserfall stürzt, alles sehr romantisch, vom Bus aus! Dimitrovgrad sollte meine heutige Bettstation sein, doch der tägliche Zug nach Dragoman (BG) fährt in einer Stunde. Die meiste Zeit für die 15 Kilometer lange Strecke nehmen die Grenzkontrollen in Anspruch. Serbien, Danke und Baba!

Selbstgespräche & Danke Faltrad


15. Tag, Freitag 24. Juni

Strecke: Kladovo – Korbovo – Milutinovac – Grabovica – Brza Palanka – Negotin – Zajecar (Bus)

Streckenlänge: 80 (Rad-)km      Fahrzeit: 4 h 30 min

(Negotin – Zajecar, 70 km/Bus)

Die letzte Nacht im Hotel Derdap war großartig. Direkt an der Donau gelegen, mit einer ordentlichen Portion Ostblock-Charme ausgestattet, bietet es einen wunderbaren Blick auf den Schdrom, sowie die gegenüberliegende rumänische Industriestadt Drobeta-Turnu Severin. Das heutige Programm: Eine kleine Landpartie sollte es werden. Viele kleine Dörfer, viel Landschaft und immer links, die Donau. Jeden Abend, nach einer Dusche, bei einem Erfrischungsgetränk, möchte ewig weiterreisen. Tags darauf zur Tagesmitte (ich starte täglich um Sieben), wenn die Kräfte Mittagspause machen, würde ich am liebsten im Garten sitzen und dem Schnittlauch beim Wachsen zuschauen.
Die gelbe Sau war wie schon die letzten Tage in Bestform. 35 Plus. Die Hügel aufwärts hab ich dann überrissen, es geht abwärts. Mit mir. Die Oberschenkel ziehen, der Rücken schmerzt, das Sitzfleisch ist mürbe und im Fahrrad hat sich ein Vogelnest versteckt (es zwitschert ständig, soviel ich auch schmiere). Auch der Wind geht immer in Opposition zur Fahrtrichtung. Bis Negotin hab ich gekämpft wie ein Löwe, mich dann umorientiert, mein Brompton zusammengefaltet und es im Bauch des Überlandbusses nach Zajecar verschwinden lassen. Ich glaube es kommt ein neuer Player ins Spiel. Morgen werde ich einen Bus-Tag einlegen.

Himmel und Hölle wohnen dicht nebeneinander


14. Tag, Donnerstag 23. Juni

Strecke: Berzasca – Dubova – Eselnita – Orsova (RUM) – Kladovo (SRB)

Streckenlänge: 100 km      Fahrzeit: 6 h

Immer den Fluss entlang. Vor lauter verliebtem Schauen auf den Schdrom vergesse ich viel zu oft aufs Treten. So bringt man keine Kilometer zusammen. Manchmal bläht er sich auf und macht sich breit, dann wieder zieht er den Bauch ein und präsentiert sich gertenschlank, der Schdrom. Daneben blüht der Wildwuchs, Eidechsen nehmen ein Sonnenbad, Felswände schrauben sich in die Höhe und die Frösche geben den Ton an. Es ist einsam auf der Straße, wenige Dörfer, wenige Autos und weit und breit keine Trink-Tankstelle in Sicht. Diese Idylle (Flüssigkeitszufuhr ausgenommen) ändert sich erst ab Eselnita. Ab Orsova wird es dann unangenehm und die letzten fünfzehn Kilometer Richtung serbisch/rumänischer Grenze werden zum Hindernislauf. Die ursprüngliche Landstraße wird zur LKW-Autobahn und hat alles im Programm was Radfahrer_innen gar nicht brauchen: Einen fast nicht vorhandenen Pannenstreifen, noch dazu teilweise sandig, der Asphalt wirft sich, viele Brücken wo der Pannenstreifern komplett verschwindet, unbeleuchtete Tunnels. Die LKW-Fahrer permanent am Gas. Bremsen? Gibt es nicht. Hupen! Im Sinne von „Schleich dich Depperter“! Meine Sünden hätte ich abgebüßt, wäre ich gläubig. Nach Seitenwechsel (Rumänien/Serbien) kehrt wieder Ruhe ein. Ein harter Arbeitstag zwischen Himmel und Hölle und Kladovo ist meine heutige Oase.

ps: der/die letzte Radtourist_in hat bei Sopron meine Wege gekreuzt.

Alte Bekannte & ewig lockt der „Schdrom“


13. Tag, Mittwoch 22. Juni

Strecke: Bela Crkva (SRB) – Zlatita (RUM) – Socol – Divici – Moldova Veche – Coronini – Berzasca

Streckenlänge: 104 km Fahrzeit: 5 h 50 min

In der Früh war er plötzlich weg, der Bela Crkva See. Der Morgennebel hat ihn verschwinden lassen. Die frisch gewaschene Wäsche war noch da. Dafür feucht.
Mit dem Grenzübergang nach Rumänien ändert sich die Landschaft, sie wird hügeliger, rauer und die Straßen ruppiger. Und auf einmal meldeten sich wieder alte Bekannte. Von der Seite sind sie gekommen, ansatzlos, unerwartet. Straßenhunde. Aggressiv bellend, mir dicht auf den Fersen. Drei Attacken, passiert ist nix. Wahrscheinlich eine willkommene Abwechslung in so einem rumänischen Hundeleben.
Etwas später, auf einmal war er da. Der „Schdrom“. Die Donau, und mit ihr auch die Sonne. Mir geht das Herz auf. Erst weit wie ein See, später schlank und bergig eingerahmt, bildet sie die Grenze zu Serbien. Neun Länder verbindet die Donau auf ihrem Weg ins Schwarze Meer. Ist das nicht ein Zeichen? Ernst Molden singt auf seinem aktuellen Album „Mia san da Schdrom“, verstehen wir es im Sinne von Vereinigung und Zusammenhalt. Jetzt!