Klassenfeinde, Schaffnerinnen und die russische Müllwirtschaft


27. Tag: Samstag, 14. Juli

Strecke: Repino – St. Petersburg (Karte)

Streckenlänge: 48 km (gesamt 2.401 km)

Der Zieleinlauf zwischen Stoßverkehr und unterbrochenen Radwegen. Kein Finale für Lyriker, ein Endstück für Trivial-Pragmatiker! In den Ballungszentren ist Russland voll in amerikanischer Hand. Von jeder Fassade lacht in grellen Farben und großen Lettern der Klassenfeind! Unterwegs begegnet mir wieder mein alter Freund. Schlecht schaut er aus, als ob er fragen wollte: «Und, wie geht’s der Revolution?!» Die Antwort: «Das Smartphone regiert das Proletariat, Putin und Trump geben die bösen Clowns und McDonalds beherrscht den Geschmack der Massen», denk ich mir lieber. Ich halte mich kurz: «Passt eh, die rote Fahne weht noch!»
In die Stadt geht es immer an der Newa entlang, bis zum Finnischen Bahnhof am Lenin-Platz. Ende der Reise! Der «Iron Curtain Trail» ist abgeradelt, über 10.000 Kilometer, von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer. Ein Stein fällt vom Herzen, aber das große Glück lässt noch auf sich warten. Dann eben das Ziel-Foto!
Es bleibt nicht viel Zeit zum Feiern, einmal noch vor Ort WM-Luft schnuppern. Mit der Tram 48 zum Stadion. Jede Straßenbahn hat eine eigene Schaffnerin – großartige Frauen! – verkaufen Tickets, geben Auskünfte und haben immer ein Lächeln auf den Lippen. Die Partie ist schon im Gange, rund ums Stadion regiert die Gelassenheit, die Farben sich mehrheitlich nicht die der spielenden Parteien, sondern hauptsächlich die russische Tricolore «Weiss-Blau-Rot». Das russische Herz schlägt für Belgien. Trotzdem wird der Erfolg gelassen hingenommen, die Uhren laufen einfach weiter. Auffallend, die Straßen rund ums Stadion sind picobello sauber, kein einziges Papierl, kein einziger Tschickstummel, einfach Null Müll im Gegensatz zu den verdreckten Stränden am Weg. So viel Sauberkeit verwirrt. Werde mich bei einem Erfrischungsgetränk, einer Solynaka und einem Shashlik eingehend mit der russischen Abfallwirtschaft beschäftigen! Aber, eigentlich sollte ich mich um meinen Rückflug kümmern …

Druschba! Zu Besuch bei Genosse Lenin


2. Tag, Samstag 17. September

Strecke: St. Petersburg

St. Petersburg im Schnelldurchlauf. Zu Fuß, den ganzen Tag, von Licht an, bis Licht aus. St. Petersburg ist aufgrund seiner Vielzahl an Prunkbauten UNESCO Weltkulturerbe und es bevölkern fast so viele japanische Tourist_innen wie Locals die Stadt. Der nur 74 km lange Fluss Neva durchquert die Stadt und verzettelt sich in mehreren Kanälen. Die Öffis präsentieren sich wildromantisch, die Metrostationen überdimensional, die Mobiltelefondichte ist bei weitem geringer als zu Hause und für ein Bahnticket (für die morgige Stadtflucht) muss der Reisepass vorgelegt werden. Fürs Rauchen am falschen Platz gibt es eine Ermahnung, dafür glauben die Russ_innen noch an die Ehe in Weiß, Samstag ist Hochzeitstag und die Arm-Reich-Schere sticht ins Auge. Am Nachmittag wird dem Genossen Lenin ein Besuch abgestattet. Den übrigen Touristen ist der ehemalige Revolutionär relativ wurscht, den Einheimischen ebenso. So steht der einstige Held an zwei dezentralen Nebenschauplätzen im Stadtbild herum und harrt der Dinge. Der aktuelle Held der Souvenierstände heißt Vladimir Putin: als Pilot, mit Panzer, mit Bär und immer stark.

1 1/2 Kilo Übergewicht, 5 Millionen Russ_innen und wo Lenin wohnt


1. Tag, Freitag 16. September

Strecke: Wien – St. Petersburg (Flug)

Streckenlänge: 1.575 km Flugzeit: 2 h 30 min

Die Tour entlang des Eisernen Vorhangs geht weiter. Ein wenig mehr als zwei Monate Wien am Stück, das reicht dann auch wieder. Das Reisefieber brennt. Diesmal ist auch meine Liebste mit an Bord. Die beiden „Bobo-Porsche“ (© Reinhold Schachner) sind geschmiert, aufpoliert und bondaged im Bauch des Flugzeugs. Im Vergleich zur letzten Tour hat das Reisegepäck eine Wampe (Bauch) bekommen. Um ganze eineinhalb Kilo zugelegt, das macht die Herbstpanier (wienerisch für wärmere Kleidung). Gelandet auf russischer Erde begrüßt uns nach Abhandeln aller Grenzformalitäten als erstes der Klassenfeind in Form von schlechtem Kaffee: Starbucks. Die ersten Eindrücke im Herzen der Stadt: Gefühlte fünf Millionen Russ_innen, gespürte Kältegrade, ein Geräuschpegel a la Motörhead (R.I.P), ein Mörder-Verkehr und viele Menschen auf der Suche nach ein paar „Kopeken“. Auf die Frage – „Wo Lenin wohnt“ (der zur Säule Erstarrte) – erkundigt sich die Rezeptionistin bei Google. Na dann gute Nacht!