Hunger in Magdeburg, viel Tier wenig Mensch und Einstellungsschwierigkeiten


Montag 19. Dezember

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Strecke: Magdeburg – Cracau – Randau – Grünewalde – Pretzien – Walternienburg – Steckby – Aken – Dessau

Streckenlänge: 81 Radkilometer     Fahrzeit: 5 h 25 min

Magdeburg auf Berlin, das ist ein Kulturschock. Um 22 Uhr sind die Gehsteige längst hochgeklappt und die Nahrungsaufnahme wird schwierig. Von Kulturprogramm keine Rede. Der erste Eindruck: Kaufpassage folgt auf Kaufpassage. Zu Ost-Zeiten war Magdeburg sozialistisch grau, heute ist es kapitalistisch tot.
Der Eindruck bei Tageslicht versöhnt nur halbherzig. Von der Elbe aus betrachtet wird das Bild ein weiteres Mal zart korrigiert. Die Ränder machen die Retusche. Auch ein Ösi hat hier seinen Fußabdruck hinterlassen, Friedensreich Hundertwasser. Ein Meister kopiert sich. Nach einer kleinen Stadtrundfahrt wird die Elbe-Radweg-Fährte aufgenommen. Kurz nach Magdeburg verliert sich die Spur und endet im Gatsch. Aus, Stopp, Retour. Bei Randau wird die Fährte wieder aufgenommen. Auen, Felder, Wälder, Wildenten, Rehe, Greifvögel. Wenig Menschen. Keine (geöffneten) Gastwirtschaften. Falsche Zeit! Der Umstieg vom Kulturprogramm-Modus auf den Radsportprogramm-Modus fällt schwerer als befürchtet. Auch das Sportgerät leidet unter Abstimmungsproblemen. Irgendwann geht das Tageslicht aus und die letzten fünfzehn Kilometer, ab Aken werden mit Kunstlicht bestritten. Das Finale wird zum K(r)ampf. Ende gut, Alles gut. Eine „Haxe“ im Brauhaus versöhnt. Morgen folgt die Sparvariante Richtung Wittenberg.

Baba Berlin, Servus Magdeburg und Je-Je-Je


Sonntag 18. Dezember

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Strecke: Berlin – Magdeburg (Zug)

Berlin, Tschüss, Baba! Es heißt Abschied nehmen. Nach einer langen Nacht, ein letztes Frühstück mit den Freunden. Auch von der Liebsten trennt sich der Weg. Sie muss zurück nach Wien, ich nach Magdeburg. Ein letztes Mal die Greifswalder Straße hinunter, ein letztes Mal grüßt Ernst Thälmann. Auf leichten Rädern die Bernauer Straße hinunter, immer der Mauer entlang bis zum ehemaligen Lehrter Bahnhof, dem heutigen Hauptbahnhof. Auf Grund eines „Personenunfalls“, ein neuer Abfahrtsort: Berlin Ostbahnhof. Unerwartet geht es noch einmal durch die Stadt. Berlin im Kunstlicht. Noch einmal das Brandenburger Tor, Unter den Linden, Alex, Fernsehturm. Aber jetzt, Baba Berlin, bis bald. Servus Magdeburg. Und gute Nacht. Ab heute gibt es verkürztes Kulturprogramm, denn ab morgen beginnt die Heimreise. Mit dem Brompton immer der Elbe entlang.
Noch ein kurzer Nachtrag zu gestern. Nieselregen-Ausflug nach Berlin Weißensee. Pop-Historisch ein bedeutender Ort in der ehemaligen DDR. Jugendkultur und Sozialismus waren in der gesamten DDR-Ära ein problematischer Diskurs: „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen“, polterte Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender der DDR, 1965 auf einem Plenum des ZK der SED. Selbiger Ulbricht der noch vier Jahre zuvor felsenfest behauptete, „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“. In Berlin West gastierten derweilen die Großen Nummern des Pop-Business wie Barcley James Harvest, David Bowie oder Pink Floyd. Es gab Randale in Ost-Berlin. Die Ost-Jugend war populärmusikalisch völlig ausgehungert und besessen vom West-Sound. Unter Erich Honecker gab es erste sanfte Zugeständnisse um Druck aus dem Kochtopf zu lassen. Auf der Radrennbahn Weißensee gab es erstmals Großkonzerte mit Künstlern aus dem kapitalistischen Ausland wie Joe Cocker, James Brown oder Bruce Springsteen. „Born in the U.S.A.“ in der GDR (German Democratic Republic)! Heute werden am Eingang zur ehemaligen Kultstätte Weihnachtsbäume verkauft, die Gitterstäbe der Tore rosten vor sich hin, nichts erinnert mehr an die seinerzeitigen „Glory Days“.