Goodbye Lenin, Grenzproblemchen und Füße in den Sand


8. Tag: Dienstag, 20. Juni

Karte

Strecke: Kaliningrad – Mamonowo – Braniewo – Frombork – Elbag – Stegna – Jantar

Streckenlänge: 151 km

Eine Radreise ist kein Städte-Trip. Die Eindrücke stapeln sich und bleiben unverarbeitet. Und dann wäre da noch die fremde Schrift: Wer nicht lesen kann muss fühlen! In einem Wirtshaus werde ich durch heftiges zuprosten aufgefordert den Tisch zu wechseln. Das junge Paar kommt aus Birobidschan, von Kaliningrad über 9.000 Kilometer weit entfernt, nahe der chinesischen Grenze, Wladiwostock ist auch nicht mehr weit. Sie machen Urlaub. Es wird getrunken, gelacht, Fotos gezeigt, nur die sprachliche Konversation will nicht funktionieren. Eine Übersetzungs-App hilft.

Genosse Lenin steht noch immer auf seinem Sockel und wärmt sich in der Morgensonne – Goodbye! Raus aus der Stadt, wieder rein ins Land. Aufgrund des starken Verkehrs wird bis zum grenznahen Mamonowo wieder Bus gefahren, ein weiterer Länderwechsel mit Passkontrolle wartet. Der Grenzübertritt nach Polen verläuft nicht reibungslos. Natürlich radle ich an der langen Autoschlange vorbei und überfahre ein Stopp-Schild. Da kennt der Grenzer keinen Spaß, darüber hinaus hat sich eine Packung Zigaretten zu viel in meinem Gepäck verirrt, aber auch das wird mit Charme gebügelt. Der heutige Tag gestaltet sich zerrissen, restliche Rubel ausgeben, Grenzübertritt, frische Złoty einkaufen, es ist an der Zeit Kilometer zu machen. Das mit dem Planen hatten wir schon, es kommt immer anders: In Frombork sollte mich ein Schiff über das Frische Haff nach Krynica Morska übersetzen, der starke Wind hatte andere Pläne – kein Fährbetrieb. Ums Haff herum, ein grober Umweg. Eine sich mir bietende Bus-Mitfahrgelegenheit nehme ich gerne an. Am Ende des Tages wird doch noch alles gut, mein Ein-Mann-Haus steht auf einem Campingplatz in Jantar nahe Danzig und jetzt stecke ich die Füße in den Sand!

blaues Auto, rotweißrote Straßenbahn, orthodoxe Kirche

Die gute alte Passkontrolle, verbogene Bäume, Druschba!


7. Tag: Montag, 19. Juni

Karte

Strecke: Nida – Rybatschi – Lesnoj – Selenogradsk – Kaliningrad

Streckenlänge: 88 km

Nida besticht durch seine reizvolle Lage, nur der Folklore-Kitsch nervt. Traditionelle bunte Häuschen verscherbeln Souvenir-Gerümpel. Auf einer Parkbank an der Uferpromenade wird mit Bier, Sprudel und Fisch-Snacks der Abschied von Hanka und Honza begangen. Es ist bitter kalt.

Von Nida sind es nur wenige Kilometer bis zur russischen Grenze. Der Oblast Kaliningrad grenzet an Litauen und Polen und ist als russische Exklave räumlich vom Mutterland getrennt. Es folgt – wieder einmal – die gute alte Grenzkontrolle: Stramm stehen, Blick gerade aus. Lachen verboten, mein Gegenüber verzieht keine Mine. Ich setze mein freundlichstes Gesicht auf, hilft genau gar nichts. Ein schleimiges „спасибо“ (Danke) und ich bilde mir ein den Ansatz eines Lächelns zu erkennen. Die einzige, anfangs sehr einsame Straße führt Richtung dem Seebad Selenogradsk. Ein gewohntes Bild, links Bäume, rechts Bäume und auf beiden Seiten vom Blick verborgenes Wasser. Mein Holzbedarf ist übererfüllt! Ein kleiner Abstecher führt zum “Tanzenden Wald“. Am Parkplatz reihen sich Holzbuden, alle mit demselben Bernstein-Klumpert. Außer mir niemand da. Der „Tanzende Wald“ erfüllt die Erwartungen nicht. Ein Holzsteg führt vorbei an verbogenen Bäumen. Von Selenogradsk besteige ich den Bus nach Kaliningrad, um mir die stark befahrene Hauptstraße zu ersparen. Genosse Lenin grüßt im vorbeifahren. Am Busbahnhof gilt es die morgige Busverbindung nach Mamonovo zu erfragen. Aber mit „Only-Englisch“ hat man in Kaliningrad den Schlauch. Mit Händen und Füßen wird auch diese Hürde genommen. Heute wartet wieder einmal ein richtiges Bett, aber zuerst lockt ein Stadtspaziergang. „Druschba“!