Eine nasskalte Nacht, die Dörfer-Tour und klopf auf Holz!


4. Tag: Donnerstag, 14. Dezember

Strecke: Neustadt/Harz – Teistungen – Böseckendorf – Duderstadt – Ecklingerode – Brehme – Neustadt/Harz

Die ganze Nacht trommelt der Regen auf die Zelthaut, in der Früh wird der Regen zu Schnee. Das Zelt ist waschelnass – außen – im Inneren regiert die trockene Kälte. Der Gaskocher wird im Beifahrer-Fußraum des ebenfalls gut gekühlten Kleinwagens angeworfen – Kaffee only – Hauptsache was Warmes. Beim Frühstück im gut aufgeheizten Campingplatz-Imbiss erzählt die Wirtin die Vertreibungsgeschichte ihrer Familie. 1947 von Wolin (Polen) nach Deutschland, in Thüringen war Endstation. An ihre Heimat hat sie keine Erinnerung mehr, sie war damals gerade erst geboren. Ihre Geburtsstadt durfte sie erst nach der Wende wiedersehen. An die DDR-Zeiten denkt die rüstige Senior-Chefin ohne Groll: «Es gab auch viel Gutes, nur heute im wiedervereinigten Land sind wir Ostler Deutsche zweiter Klasse.»
Heute wird ein Reise-Stopp-Tag eingelegt und die nähere Umgebung abgefahren. Entlang des «Grünen Bandes», die Dörfer-Tour: Böseckendorf, wo am 2. Oktober 1961 knapp die Hälfte der Dorfeinwohner in den Westen geflohen sind. Teistungen und sein Grenzlandmuseum. Eklingerode. Brehme, von wo aus Siegfried Rothensee (siehe gestrigen Blog-Eintrag) im weißen Hemd durchs Moor die Seiten gewechselt hat. Viele Hügel, viele Felder, viel Landschaft. In den Dörfern gibt es maximal einen Bäcker, aber keine Gaststuben für Fest- und/oder Flüssignahrung. Eine Skurrilität am Rande: Eine Ortschaft mit nix und zwei Friseuren! Die letzte Station vor meiner Zeltstadt ist die Kleinstadt Nordhausen. Fachwerkhäuser treffen auf Baustellen und Baulücken, alles sehr zerrissen.
Klopf auf Holz – mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte, eine äußerst sympathische Angewohnheit in ostdeutschen Gaststätten, zur Begrüßung oder Verabschiedung. Und schon wieder ist das Licht aus, was folgt ist die Suche nach Nahrung und der darauffolgende Rückzug in den Schlafsack. Morgen wartet Berlin, die «Haberer_innen» Ronald und Ursula sowie ein frisch gemachtes Bett.

Graue Theorie, Abfahrt Lederhose und eine Republiksflucht


3. Tag: Mittwoch, 13. Dezember

Strecke: Gössitz – Teistungen – Neustadt/Harz

Vorstellung und Wirklichkeit sind nicht miteinander verwandt! Die Realität der letzten Nacht: 18 Uhr, Camping-Wirtshaus sperrt zu. 18.30 Uhr, eingraben in den Schlafsack. 22 Uhr, erstes Mal ausgeschlafen. 02 Uhr, zweites Mal ausgeschlafen. 03 Uhr, raus in die Kälte, pinkeln bei Temperaturen unter Null. 06 Uhr, endgültig wach. Morgentoilette. Die Zähne klappern. 07 Uhr, mit dem Gaskocher Kaffee kochen.
Heute keine Experimente, keine verführerischen Landstraßen, nur kurz durch das zart verschneite Thüringer Vogtland, dann ganz pragmatisch rauf auf die Autobahn. Mit «Hirsch Fisch» kommt die gute Laune zurück – «In da Toschn, drinn is a Foto, do is ana drauf der freindlich locht». Auch die Autobahn-Abfahrt «Lederhose» sorgt für Heiterkeit. In Teistungen bei Duderstadt, direkt an der ehemaligen Deutsch-Deutschen-Grenze, wartet Siegfried Rothensee um von seiner Republiksflucht aus der DDR zu erzählen. Inzwischen sind 53 Jahre vergangen, beim Erzählen kämpft Siegfried Rothensee noch immer mit der Geschichte. Sein Bruder ging für einen gescheiterten Fluchtversuch mehrere Jahre in den Knast. So viel Zeitgeschichte braucht seine Zeit, die Sonne hat sich längst verabschiedet, Schneeregen begleitet mich zur heutigen Schlafstation. Mein mobiles Haus steht in Neustadt/Harz. Autoscheinwerferlicht hilft beim Aufbau. Es schneit. Jetzt noch eine echte Thüringer Bratwurst und ab in den Schlafsack.