Entschleunigte Anreise, klappernde Störche und immer den Schdrom entlang


  1. Tag: Donnerstag, 12. Mai

Strecke: Wien – Kittsee (AT) – Komárno (SK) – Štúrovo – Esztergom (HU) – Dömös

Streckenlänge: 242 km

Vorhang auf – endlich wieder! Die Mutation ist frühjahrsmüde und die Koffer werden wieder gepackt. Diesmal bleibt das muskelbetriebene Zweirad zusammengefaltet zu Hause und das benzinbetriebene Vierrad wird aktiviert. Für den Anreisetag ist eine Kurzstrecke die beste Option. Auf entschleunigten Wegen jenseits der Hauptverkehrsadern werden Grenzen getauscht. Die erste Station ist das slowakische Komárno, die Schwesterstadt der ungarischen Ansiedlung Komárom, getrennt durch den Schdrom, miteinander verbunden durch drei Brücken. Irgendwann waren die beiden Hälften eins, heute liegt das einstige Stadtzentrum auf der slowakischen Seite. Auch die Festung des einstigen Königsreichs Ungarn, wo sich bereits die anstürmenden Osmanen die Zähne ausgebissen haben. Darüber hinaus öffnete der Komponist Franz Lehár in der ehemaligen K&K Monarchiestadt das erste Mal seine Augen. In den Dörfern am Weg klappern die Störche, einige Radumdrehungen weiter, thront am ungarischen Donauufer die Basilika von Esztergom. Jetzt sind es nur noch wenige Kilometer bis zur heutigen Bettenstation, das Zelt steht fast direkt am Schdrom. Das Nass ist noch kühl, sich schdromabwärts treiben zu lassen macht große Freude. Die Reiseschiffe in der Gegenrichtung plagen sich dafür ordentlich …

ps: „Schdrom“ (© Ernst Molden), gleichzeitig eine schwer ans Herz gelegte Schallplattenempfehlung (2016 erschienen bei Monkey Music), steht für die Donau.

Länder im Schnelldurchlauf, offene Wunden und ein Fluss namens Una


2. Tag: Dienstag, 18. September

Strecke: Dedenitz (A) – Ptuj (SLO) – Zagreb (CRO) – Slunj – Bihać (BiH)

Zuerst war es der Nebel der sich dicht über den Feldern breit machte, dann arbeitete sich die Sonne durch die Bäume in Richtung Himmel und mit ihr kamen die Rehe.
Vier Länder im Zeitraffer: Einen letzten Katzensprung durch Österreich, auf schmalen Landstraßen durch Slowenien, auf breiten Highways bis Karlovac und weiter auf geschlungenen Wegen durch Kroatien bis ins bosnische Bihać, wo einsam am Ufer des Una Flusses unser Zelt-Haus steht.
Ab Karlovac zeigen sich immer noch die nicht verheilten Wunden des Jugoslawienkrieges – verwaiste Häuser, Einschusslöcher, Kriegsruinen. Die Kleinstadt Bihać erlangte als belagerte Enklave weltweite Aufmerksamkeit. An der Oberfläche ist wieder Ruhe eingekehrt und im «Restoran Sunce» direkt an der Una springen die Fische, freuen sich die Enten über Brotreste und die Pljeskavica schmecken wie damals. Einzig der nicht hohe, dafür breite Wasserfall rumort.

Die March, der verschwundene Zielhafen und a bissi traurig


38. Tag: Donnerstag, 20. Juli

Karte

Strecke: Valtice – Břeclav (CZ) –Reintal (A) – Rabensburg – Hohenau (A) – Vysoká pri Morave (SK) – Devín – Bratislava

Streckenlänge: 106 km

Heute sag ich Tschechien Baba und nach einem kurzen Österreich-Gastspiel tauche ich ein in die Slowakei. Nach Hohenau wird die March (Morava) überquert. Die March ist sowohl Grenzfluss der Slowakei mit Tschechien als auch auf 91 Kilometer mit Österreich. Bei Devin kurz vor Bratislava mischt sie sich in die Donau und reist mit ihr ins Schwarze Meer. Die March ist fast den ganzen Tag meine Begleiterin. Aulandschaften, Felder, Wälder auf der ganzen Strecke. Ein Phänomen: Kaum glaubt man alles „in trockenen Tüchern“ zu haben, passiert ein Hoppala und ich lande in der Botanik. Ein See neben einer Industrieruine wird holprig umrundet bis wieder, wie aus dem Nichts, der Radweg auftaucht. Auf dem Ganzen Weg gibt es nur zwei grenzüberschreitende Verbindungsstraßen (abgesehen von einer kleinen Autofähre bei Angern, und einer Fahrradbrücke bei Schlosshof), eine in Hohenau, die nächste erst wieder in Bratislava. Am Zusammenfluss von March und Donau steht das „Tor zur Freiheit“ zum Gedenken an die 400 Menschen die in der Tschechoslowakei bei Fluchtversuchen ums Leben gekommen sind. In Devin, oben thront die Burgruine, unten suche ich vergeblich nach meinem Lieblingsort an der Donau. Das kleine schrullige Fisch- und Grill-Imbiss, direkt am Wasser nahe der Schiffanlegestation, ist verschwunden. Das wäre mein ideeller Zielhafen gewesen. Schwer enttäuscht trete ich die letzten Kilometer bis nach Bratislava. Hier schließt sich ein Kreis, mit heute ist die „Eiserne-Vorhang“-Strecke von St. Petersburg (RUS) bis nach Tsarevo (BG) vollständig abgeradelt. Das Bett für die letzte Nacht in der Fremde schaukelt in einem Schiff direkt auf der Donau und während des Blog-Schreibens schaue ich direkt auf die Bratislaver Ufo-Brücke. Trotz Freude auf zu Hause bin i a bissi traurig!