Rauer Charme, Hipster Kneipen und berechnende Tradition


14. Tag: Donnerstag, 21. Dezember 2023

Strecke: Belgrad

Der Morgen auf dem Kalemegdan-Hügel ist wie immer ein Hochgenuss. Die Sonne ist nach der gestrigen Verstimmung auf wieder am Start. Unter der Pobednik (Der Sieger) Säule vereinigen sich Save und Donau, dahinter breitet sich das eher schroffe Novi Belgrad aus.

Belgrad mag beim ersten Kontakt etwas grobschlächtig wirken, der weiche Kern will erarbeitet werden. Die Stadt befindet sich gerade im Umbruch: zahlreiche Baustellen, Stadtviertel verschwinden, neue entstehen. So entsteht, wo sich einmal das schmuddelige, dafür umso lebendigere Viertel Savamala stand, eine von Investoren ausgedachte „Belgrade Waterfront“. Auch der ehrwürdige Hauptbahnhof musste diesem Projekt weichen.

Auch im Zentrum führen die teils schäbigen Fassaden in die Irre, die Dichte an Hipster-Bars/Cafes ist auffällig. Der rauhe Charme der ersten Eindrücke täuscht, Belgrad verordnet sich zeitgeistigen Chic. Im Gegenzug bieten Souvenirläden T-Shits von Attentätern und Kriegsverbrechern zum Kauf an.

Nur in der Skadarlija wird noch, dem Tourismus wegen, die Tradition gepflegt. Viel gegrilltes Fleisch, abends mit Musikbegleitung von Tisch zu Tisch.

Auch beim Belgrader Busbahnhof ist alles beim Alten, große Brummer, ein ständiges Kommen und Abfahren. Um 21 Uhr ist es soweit, ein Doppeldecker, bringt Rad und Fahrer hoffentlich gut nach Hause.

Ein Teufelsritt, eine Zieleinfahrt und ein Ewiges Derby


13. Tag: Mittwoch, 20. Dezember 2023

Strecke: Stari Banovci – Zemun – Belgrad

Streckenlänge: 36 km (837 km)

Die erhoffte, ruhmreiche Spazierfahrt nach Belgrad fällt vorerst aus. Zuerst wird aus Eigenverschulden die Route verändert und endet im schlammigen Nirgends. Später sind es die immer wieder fehlenden Radwegweiser, bleiben nur die stark befahrenen Einfahrtsstraßen. Als Krönung erneut grenzwertige Zwischenfälle mit verhaltensauffälligen Hunden. Ein Teufesritt. Am Rande von Zemun ist von der ruhmreichen Zieleinfahrt wenig über, erst ab Zemun-Zentrum glätten sich die Wellen und ein Radweg neben der Donau führt gelassen nach Novi Belgrad zum Zusammenfluss von Save und Donau. Die Haus-/Vergnügungs-Boote am Fluss sind  allesamt eingewintert, im Wasser dazwischen schwimmen Tonnen von Müll. Am Save-Ufer gegenüber der Kalemegdan-Festung wird auf das Ziel angestoßen. Belgrad zeigt sich von seiner ruhigsten Seite, vereinzelte Flaneure genießen die Stille in der Großstadt. Rad und Fahrer posieren für das Zielfoto.

Mit der Überquerung der Brankov Most ist es vorbei mit der Ruhe. Belgrad pulsiert.

Der heutige Tag ist kein Tag wie jeder andere, heute steigt das Belgrader Derby zwischen Partizan und Roter Stern. Das „Ewige Derby“ gilt als hitzigstes Stadt-Derby Südosteuropas.

Vor dem Stadion herrscht gespannte Ruhe, keine Gegänge, keine Pöbeleien, kleine Grüppchen, eine Übermacht an Polizei. Die Ordnungshütern in voller Montur, mit Schildern, zu Pferd und zu Fuß. Im nicht überdachten Stadion von Partizan ist noch genügend Platz, nur im Gästesektor von Roter Stern wird es eng. Zum Spielanpfiff glänzen die Roten Sterne mit einer gut vorbereiteten Choreografie, die Partisanen belassen es bei schlichten Gesängen. In der ersten Spielhälfte ist von „hitzig“ noch keine Spur, es ist bitter kalt im Oval. Ein gegebener Elfmeter und das darauffolgende Tor für Partizan bringt einen kleinen Energieschub, der zur Pause wieder verpufft. Nach dem Wiederanpfiff sorgt der Roter-Stern-Sektor für Unterhaltung mit einer Feuer-Show. Da Stadion verschwindet im Pyro-Nebel. Spielunterbrechung. Die gegenseitigen Schmähungen in den Gesängen zielen bei unverständigen Ohren ins Leere und so ist nur an den Gesten zu erkennen, dass es sich nicht um Freundlichkeiten handelt. Auch am Spielfeld wird gestänkert, es fallen noch zwei Tore und Partizan gewinnt mit 2:1.

Eine nette Unterhaltung zum Tourabschluss und nach einer Stunde Heimweg ist auch der tiefgefrorene Körper wieder nahezu aufgetaut.

Schweißtreibende Gebirge, lästige Hunde und köstliche Sarma



12. Tag: Dienstag, 19. Dezember 2023

Strecke: Novi Sad – Sremski Karlovci – Stari Slankamen – Stari Banovci

Streckenlänge: 74 km (801 km)

Die vorletzte Etappe beginnt schweißtreibend, die Ausläufer der Fruška Gora, kleines Mittelgebirge in der Vojvodina, schrauben die Bundesstraße steil nach oben. Immer noch eine Kehre und die nächste. Am Zenit wird die Hauptroute durch eine Nebenroute ersetzt. Diesmal ist es nicht der Verkehr der nervt, diesmal sind es lästige Hunde, die das Zweirad hetzen. Drei Verfolgungsjagden, drei Mal abgehängt, aber stressfrei geht anders.
Wieder unten am Fluss wird einer weiteren Herzstation ein Besuch abgestattet. Stari Slankamen ist ein verschlafenes Nest am Wasser. Eine steile Straße mit vielen Windungen führt runter zur Donau. Es gibt zwei Wirtshäuser und am gegenüberliegenden Ufer mündet die Theiß. Keine weiteren Aufregungen, in der Gaststätte sitzen, den Blick auf den Schdrom genießen und die Gedanken plätschern lassen. Nur für zu viel Plätschern ist zu wenig Zeit vorhanden. 
Wieder zurück auf die Route die an das Marchfeld erinnert, endlose Geraden und Ackerland nach allen Richtungen.
Abseits der Reise hat Serbien am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Die SNS, die Partei des Präsidenten Aleksandar Vucic hat erneut die Wal für sich entschieden, das Oppositionsbündnis wittert Wahlbetrug und demonstriert.
Das gemachte Bett steht diesmal in Stari Banovci, einer Vorstadtsiedlung mit Wasserzugang. Reizvoll wäre schwer übertrieben, dafür springen die „Sarma“-Krautrouladen ein und retten den Abend.

Ein letzter Seitenwechsel, eine Höllenfahrt und geliebte Kraftausdrücke



11. Tag: Montag, 18. Dezember 2023

Strecke: Ilok – Neštin – Beočin – Novi Sad

Streckenlänge: 49 km (727 km)

Ein letztes Mal vor dem Zieleinlauf wartet ein Länderwechsel: Kroatien entschwindet im Rücken, Serbien im Blick. Die serbischen Grenzbeamten lassen die strengen Blick stecken, drehen die Daumen hoch und feuern an für die nächsten Kilometer. Mit dem Grenzübertritt werden die Menschen zugänglicher, dafür die Straßen ruppiger. 
Die Wahl fällt auf das rechte Donauufer für den Weg nach Novi Sad. Ein Schwanenpaar sorgt mit seinem Flügelschlag für ordentlichen Wirbel in der stillen Landschaft. Einige schweißtreibende Hügel müssen genommen werden bevor eine Labestation am Schdrom mit einem Erfrischungsgetränk belohnt.
Ab Beočin ist es vorbei mit der Idylle, die Stadt ist bekannt für ihre Zementindustrie. Auf der schmalen, in beiden Richtungen einspurig stark befahrenen Straße ist kein Platz mehr für ein Zweirad. Das so gut wie nicht vorhandene Straßenbankett ist ein einziger Schlammstreifen. In kürzester Zeit ist zwischen Reifen und Kotschützer kein Platz mehr und die Räder stehen still. An der „Ersten-Hilfe-für-das-Faltrad“ führt kein Weg vorbei. Die Weiterfahrt wird kriminell … In der Ferne erscheint die erste Donaubrücke im Sichtfenster und gibt Hoffnug auf Erlösung.
Auf der Donau-Promenade von Novi Sad wird das Rad ein weiters Mal verarztet.
Novi Sad ist die zweitgrößte Stadt Serbiens und Hauptstadt der Vojvodina. Der Blick wird der Festung Petrovaradin am rechten Donauufer vereinnahmt. Während des Kosovokrieges 1999 wurden bei NATO Luftangriffen alle Donaubrücken zerstört.
Eine Altstadtrunde endet am Markt, die Stände sind bereits abgeräumt, aber das Markt-Beisl hat noch offen. In der kleinen Räumlichkeit wird der Standler-Alltag wortreich nachbesprochenen. Der beliebteste Kraftausdruck – „bitschka Madre“ – ist im allgemeinen Sprachschatz fix verankert und schmückt gefühlt jeden dritten Satz. 
Das Tageslicht ist inzwischen ausgegangen und die Weiterführung der Stadterkundung verliert sich im Tschocherl.

Durchlüften, Selbstgespräche und Ostslawonien statt Adria



10. Tag: Sonntag, 17. Dezember 2023

Strecke: Vukovar – Opatovac – Šarengrad – Ilok

Streckenlänge: 36 km (678 km)

Nach der gestrigen Verbreitung schlechter Stimmung, wieder zurück zu den Reisefreuden: Heute wartet eine Kurzstrecke, der restliche kroatische Abschnitt an der Donau und auch das Wetter befindet sich in Sonntagslaune!
Die Etappe  von Vukovar nach Ilok ist eine meditative, ideal um den Kürbis einmal ordentlich durchzublasen. Eine einsame Straße, Felder, Obstplantagen, Weinanbau, unterbrochen von Geisterdörfer. In den letzten 20 Jahren keine Veränderung. Opatovac hat ein einziges Beisl, sehr aus der Zeit gefallen, eigentlich genau das Richtige. Der Schwabo mit dem Zwergenrad wird bedient, weitere Aufmerksamkeiten werden nicht verschwendet.
Nach zehn Tagen allein auf weiter Flur schleichen sich die ersten Selbstgespräche in den Radalltag. Zwischenmenschlicher Austausch passiert leider selten. Einerseits die gegenseitigen Sprachbarrieren, andererseits die winterliche Zugeknöpftheit. Das nicht Verstehen hat auch Vorteile, nicht jede Ausscheidung will gehört werden, aber auch die brennenden Fragen bleiben somit unbeantwortet.
Andere Radreisende gibt es nicht. Apropos Radfahren, in Ortschaften/Städten wird der Drahtesel für Kurzstrecken oder Besorgungen eingesetzt. Und in vielen Fällen muss das Rad herhalten weil sich die zusätzlichen zwei Reifen, schlicht und ergreifend, finanziell nicht ausgehen.
Ilok liegt im letzten Zipfel Ostslawoniens, umzingelt von Serbien. Auch in Ilok hat sich wenig bewegt, einzig der „Alte Weinkeller“ der Stadt ist neben dem Bethaus und dem Kloster herausgeputzt. Auch die Preisgestaltung ist würzig. Und am Iloker Burggemäuer wird gerade gearbeitet. Aber auch rundherum wäre Renovierung von Nöten. Weniger Geld an die Adria, der Osten Slawoniens braucht es dringender, ein Paradies am Schdrom ohne Zuwendungen!

Kreuze, Wasserturm und trübe Gedanken trotz heiterer Wetterlage



9. Tag: Samstag, 16. Dezember 2023

Strecke: Osijek – Dalj – Vukovar

Streckenlänge: 47 km (642 km)

Das Wetterpendel hat in die richtige Richtung umgeschlagen, die Wolken haben die Flucht ergriffen. Noch ein Stück die Drau entlang und eingebogen auf die Dunav-Route. Nördlich verliert sich die Drau in der Donau, schdromabwärts liegt Vukovar direkt am Fluss.
Kreuze und Gräber erinnern immer wieder an die dunkelsten Zeiten des jugoslawischen Zerfalls. Die Schlacht um Vukovar war, nach sich häufenden Zusammenstößen zwischen Kroaten und Serben, der Beginn des vier Jahre lang  andauernden Kroatienkrieges.
Der Wasserturm wurde in Folge von der Jugoslawischen Volksarmee zerstört und gilt seither als Mahnmal des Jugoslawienkrieges. Die Ruine wurde renoviert, ein Lift eingebaut und in ein Museum umgewandelt. Der Lift ist derzeit außer Betrieb und es müssen 198 Stufen zum Schauraum überwunden werden. Die Aussichtsplattform bietet einen 360-Grad-Ausblick: Das Stadtzentrum, das Umland und der Schdrom von Nord nach Süd, bis zum Horizont! Trotz des bestechenden Panoramas aus luftiger Höhe bleibt die Stimmung, der Geschichte wegen, im Keller.
Auch 28 Jahre nach dem Friedensschluss klebt der Krieg untrennbar an dieser Stadt. Baulich ist vieles bereits beseitigt und die Stadt funktioniert an der Oberfläche. Unverständlich aber wahr, als erstes werden immer die jeweiligen Bethäuser aufgemascherlt. 
Kroaten als auch Serben wohnen wieder in der Stadt, aber nicht gemeinsam, jede Ethnie lebt für sich und das tägliche Leben bringt kaum Berührungspunkte: Eigene Schulen, eigene Lokale, eigene Läden.
Der alte zentrale Markt gleicht einer Geisterstadt, stattdessen befriedigen internationale Ketten und moderne Glaskobel die Bedürfnisse der Menschen. Das zentrale, noch aus besseren Jugo-Zeiten, am Fluss gelegene Hotel Dunav ist eine Ruine. Orte der Zusammenkunft sind spärlich. Sogar die landesübliche „Hauptspeise“, die Ćevapi ziehen gegenüber dem importierten Kebab-Spieß den Kürzeren. Und selbst am Adventmarkt ist die Stimmung verhalten, da hilft auch keine ohrenbetäubende Beschallung …
Ein trüber Tag trotz des strahlend blauen Himmels.

Die Drau, ein Nationalisten-Treffen und der rote Fićo



8. Tag: Freitag, 15. Dezember 2023

Strecke: Bezdan (SRB) – Batina (HR) – Osijek

Streckenlänge: 46 km (595 km)

Vor dem Fenster der Čarda Šebešfok, geht gerade die Sonne auf. Reiher gleiten lautlos über die unzähligen Donaukanäle auf der Sche nach einem Frühstück. Eine Brücke über den Schdrom verbindet Serbien mit seinem Nachbarn Kroatien. Die Grenzformalitäten sind schnell abgehandelt. Hoch über Batina erinnert ein Kriegerdenkmal an die Schlacht von Batina von 1944, bei der sowjetische und jugoslawische Verbände die deutschen Truppen besiegten. Der Osten Slawoniens ist auch bekannt für die Früchte seiner Rebstöcke. Kleine Kellereien laden zur Verkostung. Guter Boder, viel Wasser, viel Sonne – ein Glaserl Graševina vertreibt die üble Laune. Die Ortschaften am Weg nach Osijek wirken allesamt ausgestorben, alte ländliche  Bausubstanz vergammelt am Wegesrand. Der Weg in die viertgrößte kroatische Stadt führt über die Drava/Drau. Als erstes sticht die ausgedehnte Festungsanlage Tvrđa ins Auge. Als Bollwerk gegen die Osmanen gebaut, ist sie gleichzeitig die heutige Altstadt. Osijek ist das wirtschaftliche Zentrum Ostslawoniens und die Europska avenija verbindet den alten Stadtkern mit dem neuen.
Der Kroatienkrieg ist lange her und trotzdem allgegenwärtig. Viele Gebäude im Stadtbild stellen ihre Kriegswunden noch ungeschminkt zur Schau. 
Am Hauptplatz toben die Tauben, der zentrale Platz ist nach dem Nationalisten Ante Starčević benannt, auf dem Sockel unter seinem Denkmal stehen die verstörenden Zeilen: „Mächtiger als das Recht des kroatischen Volkes auf Selbstbestimmung sind nur die Gesetze Gottes und der Natur. Gott und Kroatien.“ Einen Steinwurf entfernt, am Trg Slobode, dem Freiheitsplatz, steht Franjo Tuđman im Spazierschritt auf einem steinernen Podest, würde er weitergehen können, würde er die vielen Blumen zu seinen Füßen zertreten. An der Vukovarska cesta sorgt der „Crveni fićo“ für Aufsehen. „Der rote Fićo überfährt den Panzer“, eine Installation aus den Nachkriegsjahren, ein roter Zastava überrollt einen Panzer der Jugoslawischen Volksarmee. Ein Symbol des Widerstands der Bürger_innen von Osijek gegen die serbische Agression, das Kunstwerk soll an den kroatischen Sieg erinnern.
Den Rest des Abend nehmen banale Tätigkeiten wie Körperpflege in Anspruch. Morgen gibt es als Krönung eine frische Panier, weil Samstag is.

Wasserstopp, neue Zäune und ein gepflegtes Fischgulasch



7. Tag: Donnerstag, 14. Dezember 2023

Strecke: Baja – Hercegszántó (HU) – Bački Breg (SRB) – Bezdan

Streckenlänge: 45 km (549 km)

Den Wolken ist das Wasser ausgegangen, es wird wieder „bromptonisiert“! Die Mitfahrgelegenheiten der vergangenen Tage haben einen bequemen Polster erwirtschaftet. Die Wetter-Kapriolen, so versprechen es die Vorhersagen, sollen vorbeigezogen sein und die Entfernung zum Ziel lässt sich ab sofort in bequeme Etappen aufteilen. Die Tageslichtstunden sind knapp bemessen: Rechtzeitige Abfahrtzeiten wollen eingehalten werden, Pausen, die Suche nach einem geeigneten Bett eingerechnet und kleine Stadtflanerien müssen auch noch in den Tageslichtrahmen passen. Also auch Kurzstrecken füllen ein ganzes Tagespensum locker aus.
Eine einzige Straße führt vom Start bis zur heutigen Endstation. Zwischen Hercegszántó und Bački Breg wird wieder einmal der ehemalige „Eiserne Vorhang“ überwunden. Das skurrile an dieser Interaktion, der „spaßbefreite Viktor“ ließ einen neuen undurchdringlichen Vorhang, mit neuen Spielregeln errichten. Alle Menschen dürfen ausreisen, aber nicht jede/r darf einreisen. Die Flüchtlingskrise 2015 veranlasste die ungarische Regierung unter Viktor Orbán zum Bau eines neuen Grenzzauns zu seinen Nachbarn Serbien und Kroatien. Die Hoffnung das alle Mauern und Zäune in den Geschichtsbüchern verschwinden war eine Illusion. Im Gegenteil das Model-Orbán macht Schule.
In die richtige Richtung und mit dem richtigen Pass ist der Grenzübertritt nicht der Rede wert. Niemand will rein, niemand will raus. Das „Mini-Rad“ sorgt für ein schmunzelndes Kopfschütteln und wird anstandslos durchgewunken.
Die letzten Kilometer nach Bezdan, eine der ältesten Ansiedlungen der Vojvodina, sind ein gefühltes Heimspiel. In der „Čarda Pikec“, einer Herzstation direkt am Schdrom, am gegenüberliegenden Ufer liegt das kroatische Batina, wird zuerst einmal ein Fass aufgemacht. Leider ist kein Bett bezugsfertig. Wenige Kilometer entgegen der Fahrtrichtung findet sich die ersehnte Herberge. Der Rest des Nachmittags/Abends wird von den gewohnten Gepflogenheiten eingenommen: Das Zweirad wird gepflegt und für das leibliche Wohl sorgt ein gepflegtes Fischgulasch aus dem Kessel.

Ps: Für alle übriggebliebenen Raucher_innen ist Serbien ein letztes Paradies. Es darf gequalmt werden: innen, außen und in allen Lebenslagen.

Sauwetter, Bus und noch mehr Sauwetter



6. Tag: Mittwoch, 13. Dezember 2023

Strecke: Dunaújváros – Solt – Kalocsa – Baja

Streckenlänge: 101 km (504 km)

Dunaújváros verhüllt sich in dichtem Nebel und die Wolken tragen jede Menge Wasser in sich. Das gestern noch gepflegte Rad wird heute nur für Zubringerdienste entfaltet. Der heutige Tag wird zur Busreise. Auf der Stahlwerkstraße wartet ein Personentransporter Richtung Baja. Der Bobo-Porsche zieht verstohlene Blicke auf sich und erregt Aufsehen. Auf beiden Seiten des Schdroms flaches Land mit Feldern soweit das Auge reicht, gelegentlich schiebt sich eine Ortschaft dazwischen. Der Regen hat inzwischen alle Schneemassen weggewaschen. Einmal Umsteigen und das Tagesziel ist erreicht.
Baja liegt am linken Donauufer, am Donauarm Sugovica im nördlichen Teil der Batschka, im Dreiländereck Ungarn-Serbien-Kroatien. Das Stadtwappen ziert der Sündenfall: Adam, Eva, ein Baum, die verbotene Frucht und die Schlange.
Die pannonische Tiefebene war nach den Türkenkriegen weitgehend entvölkert, ab Ende des 17. Jahrhunderts wurde dieses Gebiet von Donauschwaben besiedelt. Baja hieß damals Frankenstadt. Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie und der Gebietsaufteilung in andere Nationalstaaten mussten die Donaudeutschen um ihre Rechte und Traditionen kämpfen, diesen Umstand nützte das Deutsche Reich. Im Zweiten Weltrieg kämpften Donauschwaben auf der Seite der Wehrmacht. Nach dem Krieg wurden viele in die Sowjetunion deportiert, viele wurden vertrieben.
Bajas große Trümpfe sind Fisch, Wein und Tourismus, diese Kombi gipfelt alljährlich, am zweiten Wochenende im Juli, in einem rauschenden Fest. In mehr als 2.000 Kesseln wird auf offenem Feuer für über 20.000 Menschen Fischsuppe gekocht, die „Bajai halászlé“.
Der heutige Tag verkommt zu einem falschen Ruhetag, mit dem vorherrschenden Wetter ist kein Programm zu machen. Die Sugovica entlang führt ein Spazierweg zur Donau, der Schdrom dampft. Die Dunstsuppe verschluckt ganze Fährschiffe. Nur die Enten lassen diese Waschküche gleichgültig an sich abtropfen. Ordentlich eingewässert wird die restliche Zeit des Tages bei Erfrischungsgetränken verplempert.

Ein Ruhetag, eine Stalinstadt und Muki die Lokomotive



5. Tag: Dienstag, 12. Dezember 2023

Strecke: Dunaújváros

Eine Mischung aus Erschöpfung und Reizüberflutung sorgt für eine fast schlaflose Nacht und mündet in einem Ruhetag. Selbst das Reisen wird mit dem Alter nicht einfacher …
Einmal noch liegen bleiben ohne schlechtes Gewissen. Der Stopp in Dunaújváros ist aber auch bewusst gewählt, die Industriestadt an der Donau ist ein echtes Unikat. Schön ist sie nicht, dafür hat sie eine außergewöhnliche Geschichte. Das Zentralkomitee der ungarischen Kommunisten hatte den glorreichen Einfall aus dem Dorf Dunapentele eine Retortenstadt zu Ehren des Genossen Stalin zu errichten. Ein Stahlwerk samt angeschlossenen Wohnsiedlungen für das arbeitende Volk, genauso wie in anderen osteuropäischen Ländern. Künstlich errichtete Industrie-Schlaf-Burgen wie Nowa Huta in Polen oder Eisenhüttenstadt in der DDR. 1952 wurde Dunapeterle zu Sztálinváros, zur Stalinstadt. Eine Stahlfabrik wurde aus dem Boden gestampft und die dazugehörenden Wohneinheiten im Stile des sozialistischen Realismus/Klassizismus. Als Stalin 1953 den Löffel abgab wurde der eigentliche Entwurf des Architekten Tibor Weiner teilweise wieder verworfen. Der Stadt blieb eine große Stalinstatue erspart, ebenso verworfen wurden die geplanten Statuen der „Helden der Arbeit“ entlang der Stalinstraße und auch das geplante Stadtzentrum wurde nicht mehr realisiert.
Heute heißt die Stadt Dunaújváros und aus der Stalinstraße wurde die Vasmű ucta, die Stahlwerkstraße. Der Lokalaugenschein führt durch eine Stadt mit Haupstraße, aber ohne richtigem Zentrum. Abseits der planmäßigen Wohneinheiten hat sich der viel kostengünstiger Plattenbau durchgesetzt. Für die Revitalisierung der realsozialistischen Baudenkmäler fehlt das Geld und so bröckelt Dunaújváros mit den Jahren vor sich hin. Wer die Möglichkeit hat packt seine Koffer, junges Blut ist Mangelware. Ein Historiker soll einmal den Ausspruch getätigt haben: „Nur wer einen Vogel hat verweilt länger als nötig in Dunaújváros!“ Somit wären alle Zweifel ausgeräumt.
Eine harmlose Auflockerung im Stadbild ist „Muki“, eine in Berlin gebaute Lokomotive, ehemals im Einsatz der Pioniereisenbahn. Einrichtungen zur erbaulichen Zerstreuung gibt es wenige, die tagtäglichen Bedürfnisse befriedigen internationale Ketten und Unterhaltung ist nicht angesagt. Sogar um sich den Frust von der Seele zu saufen müssen viele Meter gelaufen werden um eine geeignete Gaststube zu finden. Die versteckte „Corso Étterem és Söröző“ ist so eine – unscheinbar, wunderbar – mit lokaler unverstellter Küche. Dann ist aber schon wieder Schicht im Schacht!