Wien ist Glasgow, Erdberg ist Ostblock und flix mit dem Bus nach Belgrad


1. Tag: Donnerstag, 13. Dezember

Strecke: Wien – Budapest (HU) – Belgrad (SRB) (Bus)

Die Wiener Innenstadt spricht heute hauptsprachlich Englisch. Im Bermudadreieck drängen sich die Männer aus Glasgow, tragen Schals in blau-weiß-rot, hängen Transparente, haben ein Glas Bier in der Hand (noch vor der Mittagspause) und alle wälzen große Hoffnungen. Für nicht ballsportbegeisterte Menschen, heute Abend rittern die Glasgow Rangers gegen Rapid Wien um die Gunst der runden Kugel.
Derweilen in der Innenstadt der Alkoholpegel steigt werden letzte Reisevorbereitungen getroffen und eine möglichst «schlanke» Radtasche gepackt … Noch ein letztes Erfrischungsgetränk mit der Liebsten am Rochusmarkt. Gut erfrischt rollt es sich hinunter zum Busbahnhof Erdberg. Der internationale Busbahnhof Erdberg ist tiefster «Ostblock» von der unromantischen Seite. Oben eine vielspurige Autobahn, unten Beton. Ein grindiges Imbiss und ein nicht funktionierendes «50-Cent-WC». Die Münzen werden vom Automaten verweigert, das Drehkreuz bleibt undurchdringlich starr …
Das Faltrad wird im Bauch des Buses verstaut und der Passagierraum ist bis auf den letzten Platz belegt. Auch im Bus ist das «Häusl» fest verriegelt – «ein technisches Gebrechen», gesteht der Busfahrer. Ein Traumstart!
Zweck und Ziel der Reise sind zum einen dem vorweihnachtlichen Wiener-Punsch-Wahnsinn zu entkommen, zum anderen geht es um Bewegung in der frischen Luft und ein Rendezvous am «Schdrom» (© Ernst Molden, für die Donau). Der (angedachte) Reiseverlauf: Mit dem Bus nach Belgrad (SRB), gleich weiter nach Kladovo, einer Kleinstadt direkt am Fluss. Kladovo ist sozusagen der Kilometer Null, von hier aus geht es auf zwei Rädern zurück in Richtung Wien …
Die Grenze nach Ungarn ist inzwischen überschritten und der Druck auf die Blase steigt … Györ bringt Erleichterung, Budapest einen modernen Busbahnhof und den Anschluss-Bus nach Belgrad. Mein kleines Faltrad macht große Probleme, will nicht mitgenommen werden, es bedarf einiger Wortverdrehungen und ein zarter Aufpreis lassen es letztendlich doch noch mitreisen. Aber vorwärts jetzt und ein bisschen die Augenlider runterlassen.

Klassenfeinde, Schaffnerinnen und die russische Müllwirtschaft


27. Tag: Samstag, 14. Juli

Strecke: Repino – St. Petersburg (Karte)

Streckenlänge: 48 km (gesamt 2.401 km)

Der Zieleinlauf zwischen Stoßverkehr und unterbrochenen Radwegen. Kein Finale für Lyriker, ein Endstück für Trivial-Pragmatiker! In den Ballungszentren ist Russland voll in amerikanischer Hand. Von jeder Fassade lacht in grellen Farben und großen Lettern der Klassenfeind! Unterwegs begegnet mir wieder mein alter Freund. Schlecht schaut er aus, als ob er fragen wollte: «Und, wie geht’s der Revolution?!» Die Antwort: «Das Smartphone regiert das Proletariat, Putin und Trump geben die bösen Clowns und McDonalds beherrscht den Geschmack der Massen», denk ich mir lieber. Ich halte mich kurz: «Passt eh, die rote Fahne weht noch!»
In die Stadt geht es immer an der Newa entlang, bis zum Finnischen Bahnhof am Lenin-Platz. Ende der Reise! Der «Iron Curtain Trail» ist abgeradelt, über 10.000 Kilometer, von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer. Ein Stein fällt vom Herzen, aber das große Glück lässt noch auf sich warten. Dann eben das Ziel-Foto!
Es bleibt nicht viel Zeit zum Feiern, einmal noch vor Ort WM-Luft schnuppern. Mit der Tram 48 zum Stadion. Jede Straßenbahn hat eine eigene Schaffnerin – großartige Frauen! – verkaufen Tickets, geben Auskünfte und haben immer ein Lächeln auf den Lippen. Die Partie ist schon im Gange, rund ums Stadion regiert die Gelassenheit, die Farben sich mehrheitlich nicht die der spielenden Parteien, sondern hauptsächlich die russische Tricolore «Weiss-Blau-Rot». Das russische Herz schlägt für Belgien. Trotzdem wird der Erfolg gelassen hingenommen, die Uhren laufen einfach weiter. Auffallend, die Straßen rund ums Stadion sind picobello sauber, kein einziges Papierl, kein einziger Tschickstummel, einfach Null Müll im Gegensatz zu den verdreckten Stränden am Weg. So viel Sauberkeit verwirrt. Werde mich bei einem Erfrischungsgetränk, einer Solynaka und einem Shashlik eingehend mit der russischen Abfallwirtschaft beschäftigen! Aber, eigentlich sollte ich mich um meinen Rückflug kümmern …

Wohlfühlfaktor unter Null, ein Bier hinter Gittern und Lenin verfolgt mich


26. Tag: Freitag, 13. Juli

Strecke: Wyborg – Sowjetski – Selenogorsk – Repino (Karte)

Streckenlänge: 123 km (gesamt 2.353 km)

Seit langer Zeit wieder einmal ein Stück Fleisch zwischen den Zähnen, ein Gedicht!
Heute noch einmal eine Langstrecke über 100 Kilometer, die letzte. Eine Nebenroute führt über Sowjetski und Selenogorsk Richtung St. Petersburg. Der Straßenbelag, von passabel bis kriminell. Das Verkehrsaufkommen, gemäßigt bis ausufernd. Die Disziplin der Mitbenutzer, sehr bescheiden. Ein erzwungener Ausritt in die Wiese ist unvermeidlich. In der Ortschaft Sowjetski scheint die Zeit vor 50 Jahren stehen geblieben zu sein: Ein Supermarkt, blasse Wohncontainer, Straßenverkäuferinnen mit Eiern und Gartenprodukten im Angebot, Kinder kehren den Platz vor einem Kriegerdenkmal, … Ein Wohlfühlfaktor unter Null. Die Bilder vom aufpolierten WM-Austragungsland und die Realität daneben wollen nicht zusammenpassen. In solchen Momenten zieht die Demut ein, über das Glück in Wien das Licht der Welt erblickt zu haben.
Nach einer langen Durststrecke wird die erstbeste Gelegenheit auf eine Erfrischung wahrgenommen, ein Resort im Nirgendwo. Verschlossene Türen. Läuten beim Kommen – Tor auf – sowie läuten beim Gehen um wieder rauszukommen. Ein teures Bier hinter Gittern!
Große Erschöpfung macht sich breit, es ist nicht nur der Körper der schwächelt, es ist vor allem der Kopf der hinterherhinkt das Erlebte zu verarbeiten. In Selenogorsk läuft mir wieder Genosse Lenin über den Weg, der Typ verfolgt mich, gestern, heute und vermutlich wird er mich auch morgen aufsuchen. Politische Diskussionen über Sozialismus und Co lassen wir aus, zu untrüglich ist die Realität. Ab Serowo führt ein Radweg direkt die Ostsee-Küste entlang und im Kurort Repino ist endgültig Schluss. Das Abendprogramm wird begleitet von Kinderanimation im Park, echt süß und das ist ausnahmsweise ehrlich gemeint. Morgen wartet St. Petersburg.

Finnland Baba, lachende Grenzbeamtinnen und auf Besuch beim «Glatzerten»


25. Tag: Donnerstag, 12. Juli

Strecke: Vaalimaa – Wyborg (Karte)

Streckenlänge: 66 km (gesamt 2.230 km)

Eine angebotene Frei-Übernachtung mit Waschmöglichkeit und Familienanschluss mit großer Mühe (Notlügen, …) abgelehnt! Fast vier Wochen auf einer aufblasbaren Matratze zeigen Wirkung: «Mir geht es wie dem Jesus, mir tut das Kreuz so weh!»
Finnland Baba! Die Grenze in Greifweite: Grenzübertritt. Strenge Fragen. Noch strengere Blicke. Diesmal alles anders: «With bicycle?» Das Rad wird bestaunt. Daumen hoch! Kopfschütteln. Anerkennendes Kopfnicken. Herzliches Lachen. Mitleidige Blicke. Unverständnis. Daumen hoch! Ein aufmunterndes Lächeln … Die Schlange der Übertrittswilligen wächst, die Beamtinnen lassen sich nicht irritieren – es folgt ein (frei übersetztes) Hoppauf!
Die Strecke nach Wyborg verweigert jegliche Romantik: Stark befahrene Straße – Bäume, Asphalt, Bäume (hatten wir schon). Ab und zu eine «Babuschka» mit einem Küberl frischer Heidelbeeren am Straßenrand. Die Querstraßen zu eventuellen Ortschaften sind ein einziges Schlagloch. Irgendwann kommt dann doch die Wyborger Burg in Sichtweite. Die Hotelsuche gestaltet sich schwierig, diese seltsamen unleserlichen Schriftzeichen. Gefühlt halb Wyborg sucht mit mir, am Ende steht ein (gemeinsamer) Erfolg. Abgesehen von den hilfsbereiten Menschen ist die ehemals schwedische, dann finnische, jetzt russische Stadt eine Tragödie. Schwer ramponiert, bröckelt es vor sich hin und präsentiert sich als einzige Baustelle. Es sind die Menschen, die die Stadt großmachen. Im Gegensatz zu Finnland wird sofort Kontakt aufgenommen, Freigetränk inklusive. Ein Einstandsbesuch beim «Glatzerten» (für Wladimir Iljitsch Uljanow, kurz Lenin, © Max Wachter) am Roten Platz. «Druschba, Genosse!»
Und eigentlich wäre heute ein schönes, fettes Stück Fleisch angesagt, aber in die Lokale die das «fette Fleisch» anbieten mag ich nicht und andere gibt es nicht! Die «Schere» zwischen viel Geld und wenig Geld sticht sofort ins Auge. Die «Hackler» trinken/essen nicht im Wirtshaus, die müssen zu Hause essen und trinken …
Doch noch ein erdiges Lokal gefunden. Speisekarte lesen? Unmöglich! Der Koch bekommt alle Freiheiten, schau ma mal was er bringt …

Ein ganzes Haus, samt Bett im Taschenformat


10. Juni

Noch drei Mal schlafen …

Ich hab leicht lachen, die Ausrüstung steht. Diesmal gibt es Zusatzgebäck neben der Minimal-Grundausstattung. Um mich schon heuer auf das Norwegen-Finnland-Abenteuer im nächsten Jahr vorzubereiten führe ich ein ganzes Haus samt Bett mit mir. Klingt wahnsinnig – obwohl – alles passt in eine unterdurchschnittlich große Umhängetasche, die am hinteren Gepäcksträger mitfährt. An dieser Stelle großer Dank an Mirijam und Robert vom Outdoorausrüster Treksport (www.treksport.com) in der Stumpergasse 16, für die kompetente, sowie geduldige Beratung. Das Aufbau-Trockentraining im Shop hab ich bestanden, morgen folgt die Nagelprobe in der freien Natur unterm Marillenbaum im Schrebergarten.

Tägliche Rituale, Ausflug in den Märchenwald und zurück in die Realität


Donnerstag 26. Jänner

Die Ereignisse wiederholen sich: Nackte Füße im Schnee, in der Früh. Mikulov-Runde samt Berg, am Vormittag. Rote Rüben/Karotten-Saft, zu Mittag. Anschließend ruhen. Der Nachmittag wird kreativer gestaltet, der Landschaftsgarten Lednice-Valtice drängt sich auf. In diesem „Märchenwald“ hat sich das Haus Lichtenstein mit nicht immer ins Bild passenden Bauten verewigt. Mitten im Wald aus heiterem Himmel macht sich eine Art Triumphbogen groß – der Dianatempel, ebenso unvermittelt erscheint an einer Lichtung die Hubertuskapelle, am Waldrand auf einem Hügel thront eine Reistenkolonnade, nach dem Abbild der Wiener Gloriette. Ein Hauch von Disneyland, nur ohne Rosa und eingebettet in reale Natur. Am Nachhauseweg kreuzt auch noch ein Reh unseren Pfad, nein nicht Bambi, ein echtes. Ein roter Sonnenball zieht sich zurück. Im Licht der untergehenden Sonne wirkt alles noch unwirklicher, fast wie im Kino. Nichts wie zurück in die Fastenrealität, eine leere Suppe wartet.

Alles inklusive, Handshake, „gute“ Zäune – „schlechte“ Zäune


10. Tag, Sonntag 19. Juni

Strecke: Subotica – Kanjiza – Banatsko Arandelovo – Mokrin – Kikinda (Karte)

Streckenlänge: 99 km Fahrzeit: 5 h 31 min

Dem gestrigen Trauerspiel habe ich noch vor Beendigung der regulären Spielzeit den Rücken gekehrt.
Der heutige Tag startete as usual: Gelbe Sau, viel Landwirtschaft, … Das Nachmittagsprogramm hatte da schon mehr zu bieten. Zuerst, über Kilometer, Platten-Wege (wie Platten-Bauten nur ebenerdig verlegt mit unbehandelter Oberfläche) und ein Hagelgewitter (kirschgroß). Sehr aufregend.
Ungarn liegt zwar schon eine Tagesreise hinter mir, aber da wär noch was. Auch wenn in Ungarn politisch nicht alles im Reinen ist, Benehmen haben sie die Ungarn. In lokalen Erfrischungslokalen werden noch Hände geschüttelt. Nicht nur den unter sich bekannten Menschen – nein – Allen! Die bessere Alternative zum gängigen „Hallo“.
Und noch einmal zum grauslichen Thema Zäune. Den „bösen“ Zaun hatten wir gestern, der Vollständigkeit halber will ich auch von den „guten“ Zäunen sprechen. Denjenigen die den Radler vor übermotivierten Vierbeinern bewahren. Sie sind für Zweibeiner in beide Richtungen durchlässig und haben auch eine gewisse, aus der Zeit gefallene, romantisch sentimentale Note (siehe „Fotos“).

Alte Geschichte, jüngere Geschichte und ein Platzerl im Paradies


8. Tag, Freitag 17.Juni

Strecke: Donji Miholjac – Belisce – Beli Manastir – Batina (HR) – Bezdan (SRB) (Karte)

Streckenlänge: 87 km Fahrzeit: 4 h 45 min

Ein Nachtrag. In Donji Miholjac, der gestrigen Endstation, hat sich Franje Josipa der 1. (Franz Joseph I.) ein Denkmal gesetzt. Mitten im Zentrum. Alter Kaiser! Aber das ist eine alte Geschichte. Die Jüngere macht betroffen. In Belisce biegt die Drava von der Rad-Route Richtung Osijek ab, um sich mit der Donau zu vermischen. Ihre nördlichen Au-Wälder säumen noch immer Minen-Warnschilder, inzwischen 21 Jahre nach Ende des Kroatienkrieges!
Bei Batina macht sich dann die Donau breit und bildet die Grenze zwischen Kroatien und Serbien. Auf der anderen Flussseite, bei Bezdan, direkt an der Donau versteckt sich eine kleine Csárda. Das heutige Reiseziel. Ein Wirtshaus am letzten Zipfel Serbiens. Mit Worten schwer zu beschreiben. Ein Platzerl im Paradies wäre treffend. Und jetzt fällt mir mein Freund Ernst Molden ein, der der Donau ein ganzes Album gewidmet hat. Da heißt es verbindend: „Mia san der Schdrom …“ Noch Fragen?

Die Drava und das Kreuz mit dem Kreuz


7. Tag, Donnerstag 16. Juni

Strecke: Barcs (HU) – Terezino Polje (HR) – Gradina – Novaki – Vaska – Noskovci – Cadavica – Donji Miholjac  (Karte)

Streckenlänge: 90 km Fahrzeit: 5 h

Neuer Tag neues Glück. Die Sensationen haben nicht stattgefunden, trotzdem gibt es Neuigkeiten.
Die Drava (Drau) hat sich als Grenzfluß zwischen Ungarn und Kroatien ins Geschehen eingemischt. Nach dem Seitenwechsel immer zur Linken, gibt sie sich meist schüchtern versteckt. Ein Erfrischungbad hat sie dann doch zugelassen. Weiters: Beeindruckend, die kroatische Vorliebe der Rohbauweise. Eine erste überstandene Hundeattacke. Und das Rasenmähen scheint ganz oben auf der Liste der hiesigen Lieblingsbeschäftigungen zu stehen. Ansonsten: Mais und Getreide soweit das Auge reicht, diesmal aus kroatischer Landwirtschaft. Da bleibt viel Zeit zum Grübeln neben dem Treten, auch kein Nachteil. Nicht nur schwerwiegende Tatsachen werden gewälzt, auch leichtgewichtige Themen kommen zum Zug. Aus aktuellem Anlass ist mir ein schon etwas angegrauter Wolfgang Ambros Schlager wieder in den Sinn gekommen: Mir geht es wie dem Jesus, mir tut das Kreuz so weh …“