Rhythmus finden, durch die Metropole durch und mit dem Zug schdromabwärts




4. Tag: Montag, 11. Dezember 2023

Strecke: Visegrád – Szentendre – Budapest – Dunaújváros

Streckenlänge: 120 km (403 km)

Jeder Abfahrtstag birgt eine gewisse Unruhe in sich: das Wetter, die Distanzen, der Schlafplatz, der eigene physische Zustand, …. Die ersten gefahrenen Kilometer bringen zurück in den gewohnten Rhythmus. Der geklimperte Weihnachts-Schlager aus dem Frühstücksraum hat sich eingebrannt und ist nicht abzuschütteln. 
Zwischen Visegrád und Szentendre ändert der Schdrom seinen Lauf und knickt von Ost nach Süd zum „Donauknie“. Die barocke Kleinstadt Szentendre liegt an einem Donauarm. Eine einst ansässige Künstlerkolonie hat ihr den Beinamen „Künstlerstadt“ beschert. Ein perfekter Slogan für die Tourismuswerbung und aus Kunst wird Kitsch und Konsum. Die in den warmen Jahreszeiten überfüllten Gassen haben ihre Ruhe wiedergefunden, nur eine handvoll Besucher_innen aus dem fernen Osten streifen durch die Innenstadt und lassen die Kassen der Ramschläden klingeln. Eine Reisebegleitung hält eine Brandrede für den ungarischen Paprika. Die zahlreichen Cafes am Fluss haben großteils geschlossen und die reizvolle Promenade wirkt beschaulich wie selten.
Idyllisch wie nie ist auch der Donauradweg, Teil des EuroVelo 6, vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer. Die am stärksten befahrene Radroute Europas führt einsam und verlassen bis an den Stadtrand von Budapest. In der ungarischen Metropole ist es mit der Einsamkeit dann auch schon wieder vorbei. Die Stadteinfahrt kann mit einigen Attraktionen aufwarten: Auf der Pester Seite erscheint bald das monumentale Parlamentsgebäude, auf der Budaer Seite grüßt schon aus der Ferne die Freiheitsstatue auf dem Gellértberg, durch die Häuserfronten lässt sich kurzfristig die Fischerbastei erblicken, der Burgpalast auf dem Burgberg und unzählige Donaubrücken. Rund um die Kettenbrücke ist der Besucher_innen Ansturm am massivsten und die Lust auf eine Nacht in der schon mehrmals besuchten Hauptstadt bröckelt. Bei einem Erfrischungsgetränk in einer mehr als bodenständigen Ausschank fällt der Groschen auf Weiterfahrt. Vom Bahnhof Kelenföld fährt ein Zug in meine Richtung. Der viertgrößte Budapester Bahnhof hat schon ruhmreichere Zeiten erlebt, das alte Bahnhofgebäude ist abgezäunt und der derzeit aktive Teil befindet sich unter der Erde. Einen erlebten Raufhandel unter „Bahnhofspezln“ später rollt der Pendlerexpress schdromabwärts mit dem Ziel Dunaújváros.

Wintereinbruch, ein Bummel-Zug und ein Kaff mit Burg



3. Tag: Sonntag, 10. Dezember 2023

Strecke: Komárom – Almásfüzitő – Esztergom – Dömös – Visegrád

Streckenlänge: 79 km (283 km)

Der morgendliche Blick aus dem Fenster verspricht nichts Gutes: Ein Meer in Weiß. Der Wurlitzer im Kopf legt gleich die passende Schallplatte auf: „De Woaheit is so weiss wie Schnee“, ein Wolfgang Ambros Klassiker aus seinen besten Zeiten.
Die gestrige Verzweiflung hat sich trotz Wetterkatastrophe weitgehend aufgelöst. Aufgeben? Aufgegeben wird ein Brief!
Komárom ist eine geteilte Stadt, der nördliche Teil gehört seit 1920 zur Slowakei (Komárno). Die beiden Stadtteile sind durch die Donau voneinander getrennt und durch drei Brücken miteinander verbunden. Vom ungarischen Teil gibt es weniger zu erzählen, bis auf die Geburt zweier außergewöhnlichen Persönlichkeiten. Der eine, Theodor Körner, so erzählt die Legende, wäre auch bei einem Wetter wie heute nur im Anzug, ohne Hut und Mantel, außer Haus gegangen. Über den einstigen Wiener Bürgermeister und späteren Bundespräsidenten gäbe es noch einige weitere skurrile Anekdoten. Der andere, Franz Lehár, hatte ein Händchen für volkstümlich klassische Melodien. Er hat uns unter anderen die Operette „Die lustige Wittwe“ beschert.
Die Hauptstraßen bieten ein Schlachtfeld aus Schnee, Eis, Matsch. Die Radwege hingegen strahlen in jungfräulichem Weiß. Herausfordernd zu befahren sind beide.
Die Landschaft rundherum wirkt als hätte sie alle ihre Farben verloren, wie eine Fotografie in Schwarz und Weiß. Vereinzelte realsozialistische Überreste säumen den Straßenrand. In Almásfüzitő wartet ein Bummel-Zug allein auf weißer Flur auf Mitreisende. Ein Hoch auf das Faltrad, drei Handgriffe und Rad sowie Fahrer sitzen im ausgemergelten Triebwagen und warten auf die Abfahrt nach Esztergom.
Ein Dom auf einem Hügel beherrscht die einstige Hauptstadt des Königreichs Ungarn. Am Fuße führt ein Traum von einem Radweg direkt am Schdrom entlang. Die Fähranlegestelle von Dömös lädt zu verweilen ein und die letzten Kilometer auf der Bundesstraße nach Visegrád sind mehr Kür als Pflicht. Visegrád ist ein Kaff mit einer Burg am Berg. Der Rundblick von oben bietet ein eindrucksvolles Donau-Panorama. In den Sommermonaten wird der Ort zum Tourismusmagnet, in der kalten Jahreszeit hält er seinen Winterschlaf. Es gibt keine Punsch-Hütten, dafür ein ordentliches Gasthaus. In der urigen Wirtsstube der Gulyás Csárda wird hemdsärmelige Hausmannskost serviert. 
Draussen vor der Tür wird von Tages- auf Kunstlicht umgestellt. Am Bergkegel erstrahlt die Königsburg und am Boden hüllt sich der Schdrom in  Dunkelheit.

Vorlaute Kröten, ein Tag am Schdrom und alles anders


  1. Tag: Donnerstag, 22. Juni 2023

Strecke: Bela Crkva (SRB) – Moldova Veche (RO) – Dubova – Eșelnița – Orșova – Kladovo (SRB) – Negotin – Widin (BG) – Belogradtschik

Streckenlänge: 343 km (gesamt 1.126 km)

Der Kröten haben die Nacht fast durchgebalzt, erst in den frühen Morgenstunden halten sie ihre Mäuler.
Bela Crkva hat sich herausgeputzt und feiert einen mehrtägigen Karneval, doch zum Verweilen ist das Zeitkorsett zu eng. Eine einsame Landstraße führt vorbei am Wein zur rumänischen Grenze und nach einer kurzen Berg-Etappe ist er wieder zurück, der Schdrom. Eine über weite Strecken einsame Straße begleitet ihn, dazwischen drängen sich mit Zelten und Schirmen bestens ausgestattete Fischfänger. Die Donau als Grenzfluss. Auf serbischer Seite drängt sich die Burg Golubac ins Bild, bei Dubova wird der breite Schdrom zum Nadelöhr und auf rumänischer Seite wartet der in Stein gemeißelte Kopf des Drakerkönigs Decebalus auf Besucher_innen. Aus einem geplanten Badetag am Fluss, wird unerwartet ein Reisetag, das Wetter spinnt gerade. Ab Orșova bis zum Kraftwerk Eisernes Tor 1 zwängt sich der Schwerverkehr ins Geschehen. Noch einmal über die Grenze zurück nach Serbien. Bei Kladovo ein vorerst letzter Kontakt mit dem Schdrom und bei Negotin wartet schon der nächste Grenzübertritt. In Belogradtschik ragen außergewöhnliche Steinformationen in den Himmel, jetzt ist der Weg zu Körperpflege, Schlafplatz und einem ausgedehnten Abendmahl nicht mehr weit!

Flusserwachen, ein Fleckerlteppich und Turbo L´Amour-Hatscher


  1. Tag: Mittwoch, 21. Juni 2023

Strecke: Bezdan – Sombor – Apatin – Zrenjain – Vršac – Bela Crkva

Streckenlänge: 327 km (gesamt: 783 km)

Störche gleiten, Enten landen, Fische schnappen nach Luft, die Vögel begrüßen den Tag und der Schdrom strudelt gelassen seinen gewohnten Lauf. Nach einem ausgedehnten Frühstück in Apatin, den Schdrom direkt vor den Füßen, geht es quer durch die Pampa der Vojvodina. Der zu befahrende Untergrund, ein holpriger Fleckerlteppich durchschneidet kleine Dörfer mit noch monarchischer Bausubstanz und ganz viel Landwirtschaft: Mais und Korn so weit das Auge reicht.
An den Bela-Crkva-Seen breiten sich Urlaubsgefühle aus. Öffentlich zugängliche Badebereiche und in der Bora-Bora Bar steppt der serbische Turbo-Folk. Dosendisco für Alle, für die Schönen genauso wie für die Normalos. Moderne und Realer Sozialismus treffen aufeinander und vertragen sich.
Im Restoran Klub sammelt sich ein Frauenstammtisch an einer fein gedeckten Tafel. Zwei Dutzend Freundinnen, die meisten von ihnen haben ihr Klimakterium bereits hinter sich, sind in Feierlaune. Auffallend die künstlerisch vorgetragene Haarpracht, geflochten und teils mit Blumen bestückte Frisuren. Eine Zweimannband unterhält die fesche Runde mit nationalen und internationalen L´Amour-Hatschern. Ein unerwarteter, höchst unterhaltsamer Tagesausklang!

Anreisetage, Fisch im Kessel und ungebetene Gäste


  1. Tag: Dienstag, 20. Juni 2023

Strecke: Wien (A) – Budapest (HU) – Bezdan (SRB)

Streckenlänge: 456 km

Die Taschen sind gepackt, das Brompton bleibt diesmal zusammengefaltet in Wien zurück. Ein Vierrad ist diesmal das Reisevehikel der Wahl, mit dem Ziel Georgien. Wie fast alle Reisen führt der Weg erstmal den Schdrom, die Donau, entlang.
Erste Etappen haben selten etwas romantisches, rauf auf das große, graue Asphaltband, Kilometer fressen und erst knapp vor dem Ziel, kurz vor Baja, wieder runter. Eine wacklige Bundesstraße führt zum ersten Sehnsuchtsort, einer kleinen Čarda, nahe Bezdan, direkt am Fluss. Am gegenüberliegenden, kroatischen Ufer, thront heroisch ein Siegerdenkmal auf einem Hügel und erinnert an die Schlacht von Batina 1944, in der jugoslawische Partisanen gemeinsam mit der Roten Armee die faschistische Wehrmacht zurückdrängte.
Das Mobilheim wird aufgebaut, im Wirtshaus wartet ein gekühltes Jelen Pivo und im Kessel schwimmen Zanderfillets im Gulaschsaft. Einziger Wermutstropfen, die gefühlt tausende Mistviecher und ihr unersättlicher Durst. Panik hilft da gar nichts, einzig eine erzwungene Gelassenheit schafft Abhilfe. Das Licht verschwindet, die blutsaugenden Gfraster bleiben!

Kilometer fressen, der verhaltensauffällige Viktor und eine Zusammenfassung


  1. Tag: Sonntag, 29. Mai

Strecke: Bezdan (SRB) – Budapest (HU) – Wien (A)

Streckenlänge: 460 km

Der anhaltende Regen erleichtert die Heimreise, noch ein Grenzübertritt und rauf auf das breite, graue Asphaltband Richtung Wien. Letzte Hürde, der verhaltensauffällige, ungarische Regierungschef geizt mit seinem Automobil-Kraftstoff für ausländische Kennzeichen, der Heimathafen wird dennoch erreicht.

Zum Schluss die obligatorische Zusammenfassung:

Reisetage: 18
Länder: Österreich, Ungarn, Rumänien, Republik Moldau, Bulgarien, Serbien
Gefahrene Kilometer: 3.616
Übernachtungen: 9 Zeltnächte, 8 Nächte im gemachten Bett

Vielen Dank für’s Lesen, Mitreisen, Mitfiebern … Im September startet die nächste Ausfahrt, dann wieder mit dem Bobo-Porsche, dem Brompton-Faltrad!
Alles Liebe & Dank
Mario

Donaustimmungen, Wettersturz und Fisch in großen Töpfen


  1. Tag: Samstag, 28. Mai

Strecke: Eșelnița – Moldova Veche (RO) – Bela Crkva (SRB) – Pančevo – Bezdan

Streckenlänge: 428 km

Ab Eșelnița geht es immer den Schdrom entlang, gelassen und isoliert rollt das Automobil stromaufwärts durch das Donautal: Der Nationalpark Eisernes Tor, ein in Stein gemeisselter Königskopf, auf serbischer Seite die Festung Golubac und immer lockt der Fluss, stellenweise felsig eingerahmt schlank, anderenorts weitläufig wie ein See …
Nur das Wetter ist launig und entscheidet sich auf Umschwung, lässt die Temperatur stürzen und schickt Regen. Ab dem rumänisch-serbischen Grenzübertritt ist es vorbei mit der Poesie, ab jetzt zählt nur noch die Kilometerleistung. Quer durchs Land bis in den letzten serbischen Winkel, natürlich auch dieser am Schdrom. Die Čarda Pikec bei Bezdan ist ein Sehnsuchtsort und Start- oder Endpunkt jeder Balkanreise. Direkt am Wasser wird Pörkölt in großen Töpfen serviert, die Spezialität des Hauses, eine Art Fischgulasch mit Filetstücken vom Karpfen, Hecht, Wels oder Zander. Donauschiffe ziehen vorbei und dem letzten Reisetag geht das Licht aus …

Eine Klangwolke, eine Blechschlange und Luxus am Schdrom


  1. Tag: Freitag, 27. Mai

Strecke: Belogradtschik – Widin (BG) – Calafat (RO) – Drobeta Turnu Severin – Orșova – Eșelnița

Streckenlänge: 205 km

In der Nacht machen sich die Kröten wichtig, dazu gesellt sich ein seltsamer Vogel, stellenweise die Hunde aus der Nachbarschaft und alle Stimmen vermischen sich zu einer herausfordernden Klangwolke. Die Heimreise drängt sich auf. Bei Widin im nordwestlichsten Zipfel Bulgariens, im Dreiländereck Bulgarien-Rumänien-Serbien spannt sich die Brücke „Neues Europa“, vom bulgarischen ans rumänische Ufer über die Donau. Schon kilometerlang vor der Überfahrt staut sich der Schwerverkehr zu einer überdimensionalen Schlange. Auf rumänischer Seite nimmt das Blechreptil neben der Hafenstadt Calafat noch zwei weitere Kleinstädte für sich ein. Bei Orșova beruhigt sich das Verkehrstumult und ab Eșelnița herrscht wieder Ruhe am Schdrom. Inzwischen stehen am gegenüberliegenden Ufer serbische Häuser, eine wunderbare Pension am Wasser gibt Obdach und die Aussicht auf ein wenig Luxus: Balkon mit Aussicht, Sonnensegel, Liegen, Gaumenfreuden …

Donauaufwärts, das Balkangebirge entlang und ein Feier/Transit-Tag


  1. Tag: Dienstag, 24. Mai

Strecke: Silistra – Russe – Weliko Tarnowo – Belogradtschik

Streckenlänge: 510 km

Aus der bulgarischen Gastlichkeit gibt es kein entrinnen, einmal Essen gehen und schon wieder drängen sich neue Freundschaften auf …
Donauaufwärts bis nach Russe, der Schdrom meist hinter grünen Hügelketten versteckt. Von Russe rein ins Land nach Weliko Tarnowo, gemeinsam mit Kolonnen von Schwertransport, die Romantik bleibt auf der Strecke. Weliko Tarnowo liegt eingebettet im nördlichen Balkangebirge am Fluss Jantra . Die Lust auf Stadt ist nach dem unfreiwilligen Aufenthalt der letzten Tage stark reduziert, noch dazu ist der 24. Mai ein nationaler Feiertag, Bulgarien zelebriert seine Kultur, der Tag ist verbunden mit der Entstehung des kyrillischen Alphabets. Die Stadt ist prall voll mit Besucher_innen und ein Wolkenbruch löscht das letzte Verlangen nach einem Aufenthalt. Rein ins Automobil und das Balkangebirge entlang Richtung serbische Grenze. Im nordwestlichsten Zipfel des Landes, nahe Belogradtschik wird geparkt, ein ganztägiger Transittag legt sich schlafen.

Musik der Möwen, ein unfreiwilliger Stadtaufenthalt und der erlösende Anruf


  1. Tag: Montag, 23. Mai

Strecke: Silistra

Die Möwen können ihre Schnäbel nicht halten, in allen Stimmlagen wird getönt, ohne Intervall. Das gestrandete Automobil hat eine Werkstatt gefunden, die Benzinpumpe hat den Geist aufgegeben.
Runter zum Schdrom, rauf zum Markt, die bulgarische Grenzstadt wird zu Fuß erkundet. Der unfreiwillige Aufenthalt dämpft die Stimmung und auch die bulgarische Gastfreundschaft sitzt noch in den Gliedern. Am Nachmittag kommt der erlösende Anruf, Automobil fertig und abholbereit! Die Wolken verziehen sich, morgen wird die Spur wieder aufgenommen …