Die vier großen „W“: Wasser, Wiesen, Wald und Wind


8. Tag: Freitag, 20. Juni 2025

Strecke: Wierzbiny – Giżycko – Węgorzewo

 – Kirsajty – Rydzewo

Streckenlänge: 132 km

Kreuz und quer durch die Masurische Seenlandschaft, von Süd nach Nord, von Ost nach West und wieder retour. Auf Nebenrouten immer den Seen entlang, obwohl sich das Wasser oft gut versteckt. Hinter dichten Wäldern, hinter saftig grünen Hügeln, geizt es mit weitläufigen Ausblicken. Ist es dann soweit, mangelt es an geeigneten Haltestellen. Das beste Reisevehikel für eine optimale Erkundung wäre das Zweirad. Die Fahrrad-Routen sind vielfach vom motorisierten Verkehr getrennt und getretene 20 km/h wären die optimale Reisegeschwindigkeit für diese entschleunigende Umgebung.

Die Kleinstädte zwischen den verzweigten Wasserwegen spielen eine untergeordnete Rolle. Geschichtlich ließe sich das Thema Ostpreußen, Krieg, Vertreibung und Neuordnung aufkochen, aber das würde zu weit führen. Besuchertechnisch nur interessant für Menschen mit ausgeprägtem Fimmel für Gotteshäuser und als Provianttankstelle.

Ein momentanes Ärgernis ist der permanente bösartige Wind, er peitscht die Wälder, die Seen schlagen Wellen wie ein Meer und er vertreibt die wärmende Kraft der Sonne. Ein weiteres Trauerspiel ist der ansteigende sorglose Tourismus und der Umgang des Landes mit seinem realsozialistischem Erbe: Wasserzugänge werden unpassend verbaut (ein Negativbeispiel der österreichische Wörthersee) und jeglicher Ostcharme wird beseitigt oder dem Verfall überlassen. Modernität um jeden Preis.

Zum Schluss noch ein Tipp als Betthupferl: Arno Surminskis Roman „Polninken“, eine Zeitgeschichte verknüpft mit einer Romanze in den Masuren.

Der polnische Popstar, die Masuren und Wetterkapriolen


7. Tag: Donnerstag, 19. Juni 2025

Strecke: Puchły – Białystok – Wierzbiny

Streckenlänge: 159 km

Der größte Popstar Polens ist nach wie vor der Sohn des Zimmermanns und einer Jungfrau. Für den Herrn Jesu werden an Feiertagen Straßen gesperrt, Gastgärten geräumt und die Innenstadt mittels Lautsprecher feierlich fromm beschallt. Die Straßen sind bummvoll und die Menschen tragen blättrige Zweige in Händen. Die Show dauert bis kurz nach Mittag, dann wird alles wieder rückgebaut und Straßencafés und -restaurants schießen wie Schwammerln aus dem Boden. So erlebt in Białystok, Haupt- und einzige Großstadt der nordöstlichsten Region Polens.

Saftige grüne Hügel, viel Holz und noch mehr Wasser, die Woiwodschaft Ermland-Masuren (ehemaliges Ostpreußen) geizt nicht mit ihren Reizen. Die Masurische Seenplatte, ein Geflecht aus teils miteinander verbundenen Seen, Kanälen, Flüssen auf einer Fläche von rund 1.700 Quadratkilometern. Nur die Wetterlage passt nicht in das harmonische Bild: heftige Windböen, unterdurchschnittliche Temperaturen und ein unangekündigter Regenguss. 

An einem der unzähligen Gewässer wird das Nachtlager aufgeschlagen. Nach Pizza und Selbstversorgung der letzten Tage gibt es heute wieder einen Ausflug in die polnische Küche: Flaczki (Kuttelsuppe), Karmuszka Mazurska (ähnlich einem Schweinegulasch) und Kartacze Mazurskie (Fleischknödel).

Langer Tag, kurzer Blog


  1. Tag: Montag, 21. September

Strecke: Rydzewo – Mikołajki – Ruciane Nida – Karwica – Wiartel

Streckenlänge: 85 km

Die Tage wiederholen sich, alle Bilder waren irgendwann schon einmal gesehen. Das Vorhaben heute nur Asphaltwege zu befahren war nicht durchzuhalten – unterm Strich halbe-halbe – das Stimmungsbarometer war auch schon einmal in anderen Sphären. Das Mobilheim steht wieder einmal solo am Platz, die Beine sind müde, die Birne auch. Langer Tag, kurzer Eintrag, gute Nacht.

Eine graue Decke, eine Schifferlfahrt und eine ungeplante Tortur am Tag des Herrn


  1. Tag: Sonntag, 20. September

Strecke: Rydzewo – Mikołajki – Rydzewo

Streckenlänge: 36 km

Weitblick ade, der See versteckt sich unter einer dichten hellgrauen Decke. Das Mobilhaus bleibt heute auf seinem Platz, Rad und Fahrer besteigen ein Ausflugsschiff in Richtung Mikołajki, im Rückblick ein Fehler: Schifferlfahrten über zwei Stunden haben etwas Grausames an sich, vor allem bei Temperaturen um die zehn Grad und das in kurzer Hose. In einem der Kanäle wettstreiten Angler_innen im Rahmen einer Competition um den fettesten Fisch.
Das ehemalige Fischerdorf Mikołajki hat sich zu einem Zentrum entwickelt und ist auf Tourismus gebürstet: Hotelanlagen, Hafenpromenade, Souvenir-Kitsch, Ess- und Trinkmeile. Inzwischen hat sich die Wolkendecke gelüftet und die Temperaturen klettern in den Wohlfühlbereich. Trotzdem hält sich das Bedürfnis zu verweilen in Grenzen. Gemütlich auf zwei Rädern und auf Nebenrouten wird die Spur aufgenommen zurück zum Mobilheim. Mr. Google berechnet für seinen Routenvorschlag knappe eineinhalb Stunden. Eine Spazierfahrt. Es kommt anders, kurz nach der Stadtausfahrt endet der Asphalt, es beginnt eine Tortur auf größtenteils Sandstraßen unterbrochen von Abschnitten ausgelegt mit dem gefürchteten Kopfsteinpflaster aus Vorkriegszeiten. Durch Wälder und Prärie, ohne Menschen, ohne Tränke verschlingt die vermeintliche Sonntagsausfahrt ganze drei schweißtreibende Stunden bis zum besten Bier der Welt. Morgen wird auf Romantik gepfiffen und auf asphaltierte Hauptrouten vertraut!

Quasi Quarantäne, von See zu See und ein lebendiges Dorf


  1. Tag: Samstag, 19. September

Strecke: Węgorzewo – Giżycko – Rydzewo

Streckenlänge: 42 km

Die Tage wiederholen sich, Instant-Kaffee vom Gaskocher am menschenleeren Campingplatz. Einzig ein Arbeiter hat sich der Aufgabe gestellt eine Blechhütte mit frischer Farbe zu versehen. Leiter gibt es keine und um die höheren Lagen zu erreichen wird gestapelt – ein Podest, darauf ein wackeliger Sessel – sehr kriminell! Bis zur Abreise ist nichts passiert …
Auch im Kerngebiet der Masurischen Seenplatte bewegen sich nur wenige Menschen. Herbst? Corona? Auf welcher Farbe die Corona-Ampel auch stehen mag – wurscht! – auf Nord-Polen-Reise gibt es so gut wie keine Kontakte. Quasi Quarantäne.
Ein See folgt dem nächsten. Gefahren wird auf Asphalt, Sandwegen und Kopfsteinpflaster. Bei den Sandwegen ist Gefühl gefragt, sonst vergraben sich die Reifen, ein Geduldspiel. Auch das grobe Kopfsteinpflaster bringt keinen Frohsinn, großteils stammt es aus Zeiten vor dem letzten großen Krieg, als die Masuren noch ein Teil Deutschlands waren. Giżycko ist eines der Zentren zwischen den vielen Seen und es gilt selbiges wie für alle bisherigen Kleinstädte – schnell wieder raus aus der Stadt und rein in’s Land. Die heutige Endstation ist anders: Ein See (Boczne See), ein kleines Nest entlang einer Nebenstraße, ein Campingplatz mit Besucher_innen. Darüber hinaus vier geöffnete Gaststätten, eine davon mit Live-Musik unter freien Himmel. Nix mehr Isolation, trotzdem bleibt alles im „Grünen Bereich“!

Der Green Velo, eine Überdosis Landschaft und ein realsozialistischer Campingplatz


  1. Tag: Freitag, 18. September

Strecke: Gołdap – Bani Mazurskie – Węgorzewo

Streckenlänge: 64 km

Der Gołdap-See, der bis über die Grenze nach Russland reicht, liegt ausgebreitet wie eine Decke vor einem völlig ausgestorbenen Campingparadies. Im Wasser baden Wildenten in der Morgensonne.
Schon seit Beginn der Reise kreuzt immer wieder der Green-Velo-Radweg die eingeschlagene Spur, so auch in Gołdap. Diesmal wird das Angebot angenommen. Der «Green Velo» (https://greenvelo.pl) führt über 1885 Kilometer von Elbląg im Nordwesten an der Ostsee bis knapp an die slowakische Grenze im Südosten des Landes. Immer entlang der Grenze und perfekt ausgeschildert! Somit verlegt sich die heutige Etappe vom Asphalt der Landstraßen auf Schotter- und Wald-Straßen durch eine Überdosis an Landschaft. Dörfer müssen durch Abweichungen von der Route extra angefahren werden. Einmal abgebogen vom grünen Band, rollen die Räder samt gut durchgeschütteltem Fahrer in Węgorzewo ein. Wenige Kilometer außerhalb der Stadt liegt Camping Rusałka direkt am Święcajty-See. Der Campingplatz war Schauplatz in einem Arno Surminski Roman, «Polninken», einer tragischen Liebesgeschichte zwischen Ost- und West-Deutschland – Empfehlung! Teilweise präsentiert sich Rusałka wie anno dazumal in realsozialistischen Zeiten.
Schluss jetzt, es ist höchste Zeit: Körper- und Wäsche-Pflege sind dringend notwendig.